Bundestag Eine Kanzlerin im Corona-Kampf-Modus

Berlin · Die Generaldebatte im Bundestag über die Ausrichtung der Regierungspolitik wird geprägt von einer außergewöhnlich leidenschaftlichen Angela Merkel und ein Jahr vor der Bundestagswahl auch von den Themen, mit denen die Parteien im Wahlkampf punkten wollen

 Angela Merkel am Mittwoch bei ihrer Bundestagsrede zum Kanzleretat.

Angela Merkel am Mittwoch bei ihrer Bundestagsrede zum Kanzleretat.

Foto: AP/Markus Schreiber

Diese Generaldebatte ist anders. Weil die Kanzlerin sich nicht in der Lage sieht, angesichts der „beispiellosen Bewährungsprobe“ für Deutschland, Europa, die Welt nach der üblichen Routine zu verfahren. Ja, sie hat an diesem Mittwochmorgen im Bundestag eine halbe Stunde wie üblich den Kanzleretat zum Anlass genommen, die Grundzüge ihrer Politik auf den wichtigsten Themenfeldern zu skizzieren. Doch eingestiegen ist sie mit Mahnungen zur Corona-Lage. Und sie endet damit, für ihre Verhältnisse geradezu leidenschaftlich. „Wir riskieren gerade alles, was wir in den letzten Monaten erreicht haben“, lautet ihre größte Sorge. Und sie appelliert: „Wir müssen reden, erklären, vermitteln.“ Dazu bittet sie Abgeordnete und Öffentlichkeit um Mithilfe. „Immer noch“, unterstreicht sie, „brauchen wir Abstand als Ausdruck von Fürsorge.“

Ein Jahr vor der Bundestagswahl eröffnet die Generaldebatte einen Blick auf die Inhalte des Wahlkampfes, prüfen die Parteien erstmals, mit welchen Themen sie punkten können. Das ist spätestens klar, als SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich seine Rede über den Etat der gemeinsamen Kanzlerin mit der Feststellung beginnt: „Olaf Scholz ist der richtige Kanzler für Deutschland!“ Da muss auch Merkel schmunzeln. Doch noch hat sich die Union nicht entschieden, wer die CDU führen und der gemeinsame Kanzlerkandidat sein soll. Damit wird noch deutlicher, dass es derzeit vor allem auf Merkel ankommt und sie die Themen für die Partei, für die Koalition und zu großen Teilen auch für Deutschland und Europa vorgibt.

Sie will, dass Deutschland in der Corona-Krise „schneller, wirksamer und widerstandsfähiger“ wird. Und sie geht dabei schonungslos auf die nun besonders sichtbar gewordenen Defizite nach ihren 15 Regierungsjahren ein. Den Gesundheitsdienst markiert sie als „Schwachstelle“, die mit Zusatz-Milliarden geschlossen werden müsse, und „schmerzlich“ falle auch der Blick auf das Bildungssystem aus, das nicht auf dem nötigen Stand der Digitalisierung sei. Dabei deutet sie nur an, dass der Bund hier auf die Kompetenzen der Länder setzen muss und es schon ungewöhnlich sei, als Bundespolitiker überhaupt mit den Länder-Bildungsministern zu reden, so wie sie es mit SPD-Chefin Sakia Esken und CDU-Bundesbildungsministerin Anja Karliczek getan habe. „Das macht man normalerweise nicht“, sagt Merkel.

Aber was ist schon normal in diesen Zeiten? Merkel macht einen kurzen Ausflug zu ihren Zeiten als Klima-Kanzlerin, unterstützt den Kurs, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen und will noch bis zum Ende ihrer Ratspräsidentschaft eine Einigung aller EU-Mitgliedsstaaten auf eine 55-Prozent-CO2-Reduzierung bis 2030 erreichen. Verhaltener ist ihr Optimismus, auch bei der Asylpolitik noch eine Verständigung hinzubekommen. Sie warnt: Wenn keine Lösung zustande komme, ergebe sich daraus eine „schwere Bürde für die Handlungsfähigkeit Europas“. Nur ein einiges Europa sei ein starkes Europa. Doch dann wendet sie sich wieder der wichtigsten Aufgabe zu: Sie stellt in Aussicht, dass sich Geduld und Rücksicht lohnen: „Das Leben, wie wir es kannten, wird zurückkehren, die Familien werden wieder feiern, die Clubs, Theater und Fußballstadien werden wieder voll sein – was für eine Freude!“, malt Merkel aus. Doch davor gelte es, vernünftig zu handeln und so Leben zu retten.

Welche Wahlkampfthemen bereiten die anderen Parteien vor? Die Merkel-muss-weg-Partei AfD spielt weiterhin auf der Klaviatur der Bedrohung durch Merkels Migrationspolitik und will nun auch Merkels Corona-Politik weg haben. Fraktionschef Alexander Gauland richtet vom an Covid-19 erkrankten Fraktionskollegen Norbert Kleinwächter aus, dass dies seine „bislang leichteste Grippe“ sei und folgert aus der aktuellen Belegung der Intensivstationen, dass die Gefahr „wohl nicht besonders groß“ sei. Die Forderung von Merkel nach „brachialen“ Maßnahmen in Krisengebieten brandmarkt er als „manchmal bricht die DDR-Erziehung doch durch“. Die Idee der AfD für den Umgang mit Corona besteht darin, die Schutzmaßnahmen „in die private Verantwortung“ zu legen, weil die staatlichen Einschränkungen „unverhältnismäßig“ seien.

Die Reaktionen der anderen Fraktionen sind einhellig. „Unwürdig“ nennt der CDU-Politiker Andreas Jung den Versuch Gaulands, Corona-Tote gegen andere Tote aufzurechnen. Der SPD-Politiker Dennis Rohde bezeichnet Gauland als „gemeingefährlich“, weil er offensichtlich wolle, dass es Deutschland auch durch Corona schlecht gehe, damit es der AfD gut gehe. Und auch CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak greift das heimlich gefilmte Gespräch mit der entsprechenden AfD-Äußerung auf und sagt voraus: „Wer sich so unpatriotisch verhält, hat im Deutschen Bundestag nichts verloren.“

FDP-Fraktionschef Christian Lindner würdigt die „angemessenen“ Worte der Kanzlerin zu Corona, distanziert sich aber scharf vom Schuldenkurs der Koalition. Nicht das Virus habe den Haushalt ruiniert, sondern eine falsche Politik seit vielen Jahren. Sozialminister Hubertus Heil gebe pro Tag mehr aus, als die gesamte Regierung im ganzen Jahr für schnelle Netze und digitale Infrastruktur. Damit schält sich eine innovative Wirtschaftspolitik mit einer Befreiung von Staat und Gesellschaft aus einer „Selbstfesselung“ als FDP-Wahlkampfthema heraus. Lindner warnt die Union vor schwarz-grünen Politikentwürfen, greift die Ankündigung von CSU-Chef Markus Söder vom Ende des Verbrennungsmotors im Jahr 2035 auf und verweist auf das Ergebnis der Bonner OB-Wahl, wo die Grüne Katja Dörner den CDU-Mann Ashok Sridharan ablösen konnte. „Im Zweifel wählt man das Original“, erklärt Lindner.

Das nutzt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, um Lindner den Unterschied zwischen Union und Grünen in dieser Frage aus seiner Sicht zu erläutern. Den Grünen gehe es um Ideologie gegen das Auto, der Union um Innovation für das Auto. Denn die Verbrennungsmotoren sollten weiter laufen, nur eben nicht mehr mit fossilen, sondern synthetischen Kraftstoffen. Nachdrücklich wirbt der CSU-Mann für eine Kaufprämie zur Belebung des Auto-Absatzes und macht sich auch dafür stark, eine Homeoffice-Pauschale ins Steuerrecht einzubauen.

SPD-Fraktionschef Mützenich stellt sich nicht nur hinter die Person seines Kanzlerkandidaten Scholz, sondern auch hinter die Politik seines Finanzministers Scholz und reklamiert wichtige Anstöße zur Krisenbewältigung für die Sozialdemokratie. Nicht die Initiative von Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron habe der EU-Corona-Politik neuen Schub gegeben, sondern ein gemeinsamer Appell von SPD-Chef Norbert Walter-Borjans und Olaf Scholz. Damit löst er Gelächter im Plenum aus. Bemerkenswert ist, dass sich Mützenich nicht nur kritisch mit AfD und FDP auseinandersetzt, sondern mehrfach auch die Grünen anspricht. Es müsse ihnen zu denken geben, was ihre Parteifreunde in Österreich in der Migrationsfrage trieben. Und auch das Verhalten der Grünen in Länderregierungen sei für ihre Programmatik ein „Dilemma“ und sollte sie veranlassen, ihren „moralischen Zeigefinger“ zu senken.

Mit einer Zustimmung zu Merkels Corona-Ausführungen über das Mittun der Menschen im Land lässt Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch aufhorchen. Allerdings wundert er sich zugleich, dass sie ausgerechnet Söder, dem Ministerpräsidenten mit der „miesesten Corona-Bilanz“, zu schönen Bildern in Herrenchiemsee verholfen habe. Bartsch bemängelt, dass die Koalition den Menschen nur die Rekordverschuldung präsentiere, aber nicht sagen, wer sie bezahlen solle. Der Vorschlag der Linken: Die obersten zehn Prozent, die über zwei Drittel der Vermögen verfügten, sollten in der Krise mehr gefordert werden. Milliardärsfamilien wie Quant und Klatten sollten das Kurzarbeitergeld in ihren Unternehmen selbst zahlen und nicht der Staat. Weil die Reallöhne in der Krise so stark gesunken seien, wie nie zuvor, gehe es nun darum, nicht nur einen Rettungsschirm für die Wirtschaft, sondern auch einen sozialen Schutzschirm aufzuspannen. Den Mindestlohn in diesem Umfeld nur um 15 Cent zu erhöhen, sei ein „Hohn“.

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter schlägt einen Bogen von Corona zum Klima. Was derzeit die Infektion treibe, müsse durch solidarisches Handeln in den Griff kommen. Von Normalität könne man nicht reden, wenn die Durchschnittstemperatur um vier bis sechs Grad steige. Auch eine Kernzielgruppe der Grünen bei den nächsten Bundestagswahlen lässt Hofreiter indirekt durchblicken. Denn er betont, dass die Klimakrise „für alle unter 25 Jahren“ eine „reale Bedrohung“ sei. Noch vor Weihnachten brauche Deutschland ein „neues sozial-ökologisches Klimapaket“.

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