Generaldebatte im Bundestag Merkels Befreiungsschlag

Berlin · Die Kanzlerin hält eine ihrer besten Reden im Bundestag. Lässig kontert Angela Merkel die Angriffe der AfD und verteidigt mit Wut und Herz den UN-Migrationspakt. Am Ende wird sie sogar vom SPD-Abgeordneten Kahrs gelobt.

Wann hat Angela Merkel zuletzt für alle sichtbar die Fäuste geballt? Wann hat die seit 13 Jahren regierende Kanzlerin ihren Widersachern so richtig die Meinung gesagt - in einer Haushaltsdebatte im Bundestag, die traditionell die Generalabrechnung der Opposition mit der Regierung ist? Man kann sich kaum erinnern, weil Merkel erstens keine begnadete Rednerin ist und zweitens die Themen gern Punkt für Punkt abhakt und ihre Zuhörer damit einlullt, aber nicht aufrüttelt. Nicht so am Mittwoch.

Merkel hat mit Wut und Herz ihre Position verteidigt. Sie war kämpferisch, empathisch, authentisch. Hätte sie das früher und öfter getan, wäre der Druck in der CDU auf sie womöglich nicht so groß geworden, dass sie im Oktober ihren Rückzug vom Parteivorsitz bekannt gab. Vielleicht ist damit aber auch eine Last von ihr gefallen, dass sie jetzt befreit auftreten kann. Womöglich war es ihre letzte Generaldebatte. Deutschland erlebt eine „nervöse Zeit“, sagte Merkel. Wer weiß, ob die Koalition das schwierige Wahljahr 2019 mit der Europawahl und den Landtagswahlen in Ostdeutschland übersteht. FDP-Chef Christian Lindner sprach von einer Zäsur nach Merkels Abschied vom CDU-Vorsitz und suggerierte, dass es im neuen Jahr auch ihr Abschied aus dem Kanzleramt werden könnte.

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Foto: dpa, Patrick Seeger

In Haushaltsdebatten macht die stärkste Oppositionsfraktion den Aufschlag. Damit stand erst einmal der Auftritt von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel im Raum, die Merkel „Weltbeglückungsphantasien“ vorwarf - sich aber hauptsächlich mit der Spendenaffäre der AfD beschäftigte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Weidel wegen illegaler Wahlkampfspenden aus dem Ausland. Der AfD waren rund 132.000 Euro von einer Schweizer Pharmafirma in 18 Einzelspenden an den Kreisverband Bodensee überwiesen worden. Verwendungszweck: „Wahlkampfspende Alice Weidel".

Weidel betonte, es sei nichts verschleiert worden, niemand habe sich bereichert. Unter Anspielung auf die einstige CDU-Spendenaffäre, in der auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble verstrickt war, sagte sie, die AfD habe auch keine Bargeldkoffer hin- und hergetragen, an deren Verbleib sich keiner mehr erinnere. Weidel haute mit ihrem Manuskript auf das Pult und rief: „Ja, wir haben Fehler gemacht.“ Das könne passieren, wenn man alles ehrenamtlich mache und keine Strukturen wie die etablierten Parteien habe. Und: „Wir haben zurückgezahlt, weit vor dem absolut inszenierten Medienskandal.“

Merkel lässt die Öffentlichkeit fast nie an ihrem trockenen Humor, für den sie im kleinen Kreis so geschätzt wird, teilhaben. Ironie wird oft falsch verstanden. Als Regierungschefin will sie keinen Interpretationsspielraum lassen. Sie hat sich auch nur sehr selten im Parlament auf die AfD eingelassen. Diesmal begann sie aber mit einer Replik auf Weidel: „Das Schöne an freiheitlichen Debatten ist, dass jeder über das spricht, was er für das Land für wichtig hält.“ Johlen im Plenum. Weidel muss schlucken.

Danach machte Merkel erst einmal, was sie immer macht. Sie spulte ab: Familien entlastet, Kalte Progression bekämpft, Mittel für den sozialen Wohnungsbau aufgestockt, Baukindergeld eingeführt, Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert und Ähnliches mehr. Dann kam sie zu der ihrer Ansicht nach relevantesten Herausforderung der deutschen Gesellschaft: Zusammenhalt, Mitgefühl, Warmherzigkeit. Sie beschwor die Freundschaft zu Frankreich als deutsche Verpflichtung. Erst recht nach der Liebeserklärung von Präsident Macron an Deutschland. Sie mahnte zur Wachsamkeit vor neuen Spaltungen und bedrohlichen Entwicklungen in Europa, die zu Kriegen führen könnten.

Sie ging dann auf den Streit in der CDU um den geplanten UN-Migrationspakt ein. Gesundheitsminister und CDU-Parteichefkandidat Jens Spahn macht Front dagegen. Merkel verteidigte mit Verve und unter breitem Beifall im Parlament ihre Ziele. Die Ziele der Vereinten Nationen, die zwei Jahre an dem (rechtlich unverbindlichen) Pakt gearbeitet haben und der bei einem Gipfel im Dezember angenommen werden soll. Merkel empörte sich über die Behauptung, darüber sei nie gesprochen worden. Sie warnte, 68 Millionen Menschen seien weltweit auf der Flucht, 222 Konflikte würden gewaltsam ausgetragen. „Es gibt diejenigen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken, das ist Nationalismus in reinster Form. Das ist kein Patriotismus. Patriotismus ist, wenn man im deutschen Interesse immer auch die anderen mitdenkt.“ Dabei ballte sie die Fäuste. Das galt der AfD. Aber auch Jens Spahn.

Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs, der Merkel 2017 ein „Danke für nichts!“ entgegen geschleudert hatte, trat ans Mikrofon und kündigte eine Premiere in 20 Jahren an: „Frau Merkel, ich muss Sie loben. Ihre Rede war großartig. Ich jedenfalls kam aus dem Klatschen nicht wieder raus.“ Schließlich also doch noch ein Danke.

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