Angela Merkel in der Türkei Bilanz am Bosporus

Istanbul · Ein letztes Mal besuchte Angela Merkel die Türkei als Bundeskanzlerin. Die sonnige Kulisse konnte die Differenzen mit Präsident Erdogan nicht übertünchen. Zumindest einmal musste Merkel dann aber doch lachen.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel stattete dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan einen Abschiedsbesuch in Istanbul ab.

Bundeskanzlerin Angela Merkel stattete dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan einen Abschiedsbesuch in Istanbul ab.

Foto: AP

Als bittersüßes Ende einer Affäre inszenierte das türkische Präsidialamt die Verabschiedung von Bundeskanzlerin Angela Merkel: Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Merkel auf einem Balkon über dem Bosporus, eine letzte gemeinsame Pressekonferenz im Sonnenschein. Zum Abschluss rollte eine Limousine auf die Terrasse, damit Erdogan die Kanzlerin vor laufenden Kameras zur Autotür begleiten konnte. Ein letzter Gruß, ein letzter Blick, dann war sie fort – und Erdogan schlurfte mit gebeugtem Gang zurück in seine Villa. Eine neue Bundesregierung mag nun die Probe aufs Exempel machen, ob die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei besser funktionieren, wenn Berlin auf Druck und Drohungen setzt statt auf Dialog. Merkel riet ihren Nachfolgern, bei der Zusammenarbeit zu bleiben und nicht zu vergessen, „dass unser Friede und unsere Sicherheit ein Stück weit voneinander abhängen“.

Die Kulisse des Abschieds erinnerte an diese verflochtenen Beziehungen. Unweit der Terrasse, auf der Merkel und Erdogan sprachen, liegt im Wald über dem Bosporus das Grab des deutschen Botschafters Hans von Wangenheim, der das Osmanische Reich auf der Seite Deutschlands in den Ersten Weltkrieg zog. Umgeben ist seine Ruhestätte von den Gräbern Hunderter deutscher Soldaten, die im Schwarzen Meer oder an den Dardanellen fielen und nun in türkischer Erde ruhen. Die Villa selbst, in der Kanzlerin und Präsident sich trafen, gehörte einst dem Vertreter der deutschen Rüstungsunternehmen Krupp und Mauser im Osmanischen Reich und dient heute als Sommersitz türkischer Präsidenten. Das prächtige Anwesen nebenan gehört der deutschen Botschaft: Ein Sultan schenkte es dem deutschen Kaiser.

Der Schauplatz sei „symbolisch dafür, dass wir uns in den letzten Jahren – das darf ich für mich auch ganz persönlich sagen – immer um gute Beziehungen mit der Türkei bemüht haben“, sagte Merkel auf der Terrasse, „auch wenn es Meinungsverschiedenheiten gab und gibt.“ Viel Kritik hat die Kanzlerin für diese Bemühungen einstecken müssen, die ihr von deutschen wie türkischen Kritikern als Schmusekurs mit zynischen Motiven angekreidet werden. „Die scheidende Kanzlerin erfreut sich offensichtlich ihres Abschiedsbesuchs bei ihrem Lieblingsdiktator Erdogan“, textete der türkische Politologe Cengiz Aktar, der als Regierungskritiker im Exil lebt, auf Twitter zum Balkon-Foto. Merkel kennt diese Vorwürfe und hielt bei ihrem Abschied noch einmal dagegen: „Ich glaube, es gibt sehr vieles, was uns dazu aufruft, für diese guten Beziehungen zu arbeiten“, betonte sie; dazu zähle nicht zuletzt die Tatsache, dass mehr als drei Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland leben.

Wie die Türkei sich verfasst und regiert, das müssen die Türken wissen – das ist der Grundgedanke von Merkels Linie im Umgang mit der Türkei: Aufgabe deutscher Politik ist es, für Deutschland das Beste daraus zu machen. Dialog sei dafür der richtige Weg, sagte die Kanzlerin in Istanbul – etwa über die Flüchtlingsfrage und die Lage in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban (siehe Infokasten). Dialog war auch Merkels Weg angesichts des Abbaus von Demokratie und Menschenrechten in der Türkei, den Kritiker gerne mit deutschen Sanktionen geahndet sähen. Die Kanzlerin setzte auch dann auf Gespräche, wenn deutsche Staatsbürger in türkischen Kerkern verschwanden, und verteidigte diese Linie zum Abschied als wirksamsten Weg. Die Gespräche hätten sich immer gelohnt: „Wir haben in der letzten Zeit eine ganze Reihe von Fällen lösen können.“ Zwar kämen immer wieder neue dazu, räumte sie ein. „Aber alles in allem würde ich sagen: Die Gespräche haben sich ausgezahlt.“

Ein dickes Fell brauchte die Kanzlerin bei diesen Gesprächen, das wurde trotz Sonnenscheins und Freundschaftsbeteuerungen beim Abschied auf der Terrasse sichtbar, als Erdogan sich zu den inhaftierten Deutschen äußerte. Als Präsident könne er keinen Einfluss auf die Justiz nehmen, denn die sei in der Türkei unabhängig, sagte er – als wüsste nicht jeder auf der Terrasse, dass die Gerichte im türkischen Präsidialsystem alles andere als unabhängig sind und regelmäßig politische Weisungen bekommen. „Wir müssen alle an die Gerechtigkeit der Justiz glauben“, mahnte der türkische Präsident, und Merkel zuckte mit keinem Gesichtsmuskel.

Lachen musste die Kanzlerin, als Erdogan sich in einem Anflug von Wehmut wünschte, dass auch sie als Autokratin hätte herrschen können. Die deutsch-türkischen Beziehungen hätten noch viel besser werden können, wenn Merkel nicht immer mit Koalitionen hätte regieren müssen, so der türkische Präsident: „Koalitionsregierungen erschweren die Arbeit doch immer sehr.“ In der Türkei habe er dieses Problem seit Einführung des Präsidialsystems nicht mehr, fügte er hinzu. Merkel wehrte den impliziten Vorschlag lachend ab. „Wir haben keine Absichten, ein Präsidialsystem einzuführen“, sagte sie. „Trotzdem wollen wir gute Beziehungen mit der Türkei haben.“

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