Frage der Kanzlerkandidatur Angela Merkel — will sie noch, kann sie noch?

Berlin · Spätestens Anfang Dezember muss Klarheit herrschen, ob Angela Merkel erneut als Kanzlerkandidatin für die Union antreten wird. Entscheidend dafür ist ihr Verhältnis zur CSU. Eine Analyse.

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Foto: dpa, Patrick Seeger

Je schmallippiger die Kanzlerin auf die Frage nach ihrer Kandidatur reagiert, desto munterer wird gerätselt, ob sie noch einmal antritt. Viele Umstände sprechen dafür, dass Angela Merkel sich anschickt, wie einst Helmut Kohl eine vierte Amtszeit zu wollen. Es gibt zugleich gute Gründe, die dagegen sprechen.

Was sie persönlich möchte

Merkel hat sich bislang öffentlich nicht dazu geäußert, ob sie noch einmal antreten möchte. Im ersten Halbjahr 2016 gab es in ihrem engen Umfeld aber viel Optimismus, dass sie trotz Image-Verlust in der Flüchtlingskrise erneut als Kanzlerin die Union in den Wahlkampf führen wird. Sie wirkt auch nicht amtsmüde. Ihre physische Robustheit und ihre guten Nerven bleiben ihr bislang treu. Doch die andauernden und harten Auseinandersetzungen mit der CSU sowie die schlechten Ergebnisse für die CDU bei Landtagswahlen in fünf Bundesländern haben Zweifel gesät, dass Merkel um jeden Preis erneut antritt.

Die besten Zitate von Angela Merkel
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Foto: ap, Michael Sohn

Sollte sie zu der Erkenntnis kommen, dass sie der Union und dem Land mehr dienen kann, wenn sie verzichtet, wäre sie wohl in der Lage, die Konsequenzen zu ziehen. Ihr selbstkritischer Auftritt am Montag in Berlin zeigte wiederum, dass sie bereit ist, noch einmal alles nach vorne zu werfen, um Rückhalt für eine erneute Kandidatur in den eigenen Reihen, bei der CSU und im Volk zu bekommen.

Die Rolle der CSU

Nachdem CSU-Chef Horst Seehofer immer wieder Attacken gegen die Kanzlerin geritten hat, die den Eindruck hinterließen, er wolle eine erneute Kandidatur Merkels verhindern, lenken die Bayern nun ein. Obwohl Merkel in ihrer Ansprache am Montag zwar selbstkritisch auftrat, in der Substanz ihrer Flüchtlingspolitik aber nicht nachgab, sendeten die CSU-Granden gestern als Reaktion versöhnliche Signale. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, die stets als Mittlerin zwischen München und Berlin fungierte, bot zur Lösung des Streits um eine Obergrenze einen Kompromiss an, indem sie eine Richtgröße von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr vorschlug.

Angela Merkel – herausragende Momente einer Kanzlerin (in Bildern)
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Foto: dpa/Peter Kneffel

Die Beilegung dieses Streits dürfte tatsächlich existenziell für die Kooperation der Unionsparteien im Wahlkampf und damit für Merkels Kanzlerkandidatur sein. Auch die CSU wird wohl ein Stück nachgeben: Sie ist mit den Äußerungen ihres Generalsekretärs Andreas Scheuer in die Defensive geraten. Der hatte sich über Asylsuchende ausgelassen, die schwer abzuschieben seien. Das Schlimmste sei ein "fußballspielender, ministrierender Senegalese" - weil "den wirst du nie wieder abschieben", hatte er gesagt. Die Worte sorgten in der Partei, in der Anhängerschaft und bei den Kirchen für Empörung.

Die Ersatzbank

Für eine mögliche Nachfolge der Kanzlerin wird als einfache Lösung in einer kritischen Situation stets Finanzminister Wolfgang Schäuble genannt. Trotz seines Alters von 74 Jahren wirkt er rege und belastbar. Er hat Rückhalt in der CDU und im Volk. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gilt auch als Option. Doch ihre Positionen in der Flüchtlingspolitik decken sich weitgehend mit denen der Kanzlerin. Wenn Merkel als zu links für die Union empfunden wird, ist sie keine Alternative. Als möglicher Ersatz ist auch Kanzleramtsminister Peter Altmaier im Gespräch. Für den blitzgescheiten Juristen gilt aber das gleiche wir für von der Leyen: Er ist so nah dran an der Kanzlerin, dass er nicht wirklich eine Alternative darstellt. Nachwuchstalente wie die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Vize Julia Klöckner und Finanzstaatssekretär Jens Spahn kämen nicht für sofort in Frage.

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Foto: Screenshot / instagram.com/bundeskanzlerin

Die Machtoptionen der Union

Bleiben wir bei Schäuble: Sollte Merkel die Situation so einschätzen, dass sie eine eigene Kanzlerkandidatur für wenig aussichtsreich hält, könnte die Stunde des Finanzministers, der sich schon immer eher als Schatzkanzler sah, gekommen sein. Doch wenn Schäuble tatsächlich 2017 antreten sollte, müsste Ende 2016 der Wechsel im Kanzleramt vollzogen werden. Dafür aber müsste Schäuble im Parlament gewählt werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD der Union diesen Gefallen ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl erweist, ist gering. SPD-Chef Sigmar Gabriel könnte die Gunst des Machtvakuums vielmehr nutzen und sich an die Spitze einer rot-rot-grünen Bundesregierung setzen.

Ihre Umfragewerte

Aktuell liegt die Union in Umfragen etwa zehn Prozentpunkte unter ihrem Bundestagswahlergebnis von 2013. Merkels gesunkene Popularität ist dafür ebenso verantwortlich, wie sie jahrelang der Union glänzende Werte bescherte. Ein Blick in die bundespolitische Geschichte zeigt allerdings, dass Umfragewerte ein Jahr vor einer Bundestagswahl nur wenig mit dem Endergebnis zu tun haben. Mit etwas über 30 Prozent hat die Union weiter die besten Aussichten, tatsächlich auch über 2017 hinaus das Kanzleramt zu besetzen.

Was sie hinterlässt

Ein wichtiges Argument dafür, dass sie noch einmal antritt, ist die Frage, was von Merkels Kanzlerschaft bleibt. Würde sie in den nächsten Wochen ankündigen, nicht erneut anzutreten, dann ginge sie als Gescheiterte. Die Lesart wäre: Sie musste wegen ihrer Flüchtlingspolitik abtreten. Ihre Verdienste um den Zusammenhalt Europas, Deutschlands Wohlstand und Deutschlands neuer Verantwortung in der Welt drohten dahinter zu verschwinden.

Ihr Standing im Ausland

Auf internationalem Parkett sind Merkels Meinung und ihre diplomatischen Fähigkeiten nach wie vor sehr gefragt. In Europa ist ihre Lage aber schwierig: Mit den Südländern steht sie in Finanz- und Wirtschaftsfragen im Konflikt. Die Osteuropäer haben sich in der Flüchtlingskrise von ihr abgewandt. Die Kommentatoren im Ausland gehen nach den verlorenen Landtagswahlen noch viel härter mit Merkel ins Gericht als deutsche Medien.

(qua)
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