Mutmaßlicher Neonazi-Terror-Helfer Andre E. in Untersuchungshaft

Köln · Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) hat den mutmaßlichen Unterstützer der rechtsterroristischen Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), Andre E., in Untersuchungshaft genommen. Dies teilte Generalbundesanwalt Harald Range am Donnerstag in Karlsruhe mit. Bei seiner Vernehmung machte der 32-jährige Beschuldigte vor Gericht keine Angaben, wie ein Sprecher der Behörde mitteilte.

 Dieter Wiefelspütz hat den Rücktritt von Innenminister Friedrich gefordert.

Dieter Wiefelspütz hat den Rücktritt von Innenminister Friedrich gefordert.

Foto: Bundestag/Lichtblick/Achim Melde

Andre E. ist nach Auffassung der Bundesanwaltschaft dringend verdächtig, die Terrororganisation NSU in zwei Fällen unterstützt zu haben. Er soll das Bekennervideo hergestellt haben, in dem sich die Gruppierung zu neun Morden und den Mordanschlägen auf zwei Polizeibeamte in Heilbronn bekennt. Außerdem soll Andre E. zwei NSU-Mitgliedern seine Bahncard und die seiner Ehefrau überlassen haben.

Nach Überzeugung Ranges ist der 32-Jährige Produzent des NSU-Propagandafilms und stand seit 2003 "in engem Kontakt" zu der Terrorgruppe. Zu dem Film sagte er: "Dieses Machwerk verhöhnt die Opfer der terroristischen Verbrechen und zeigt ein unfassbares Ausmaß an Menschenverachtung." Die Verbreitung sei geeignet, "namentlich unsere Mitbürger ausländischer Herkunft erheblich einzuschüchtern".

Andre E. als Hersteller muss nach Ranges Worten von den Verbrechen der NSU gewusst "und deren Gesinnung geteilt haben". Er sei Inhaber einer Medienfirma, die auch Filme herstellte. "Als Einziger im Umfeld der NSU" habe er damit über die notwendigen Kenntisse zur Herstellung des Films verfügt. Hinzu komme eine Werbebroschüre seiner Firma, die in den Trümmern der zerstörten Zwickauer Wohnung gefunden wurde.

Der Ermittlungsrichter des BGH hatte bereits am (gestrigen) Mittwoch auf Antrag der Bundesanwaltschaft Haftbefehl erlassen. Die Festnahme durch die GSG-9 erfolgte am Donnerstagvormittag. Gemäß den gesetzlichen Vorschriften muss ein Verhafteter unverzüglich dem zuständigen Haftrichter vorgeführt werden, der dem Beschuldigten den Haftbefehl eröffnet und ihn zur Person und zur Sache vernimmt.

Weitere Hausdurchsuchungen

Seit der Festnahme durchsuchen Beamten des Bundeskriminalamts in Dresden, Jena und Zwickau insgesamt vier Wohnungen. Polizeikräfte Brandenburgs, Sachsens und Thüringens unsterstützen die Anti-Terror-Einheit. Der Beschuldigte soll noch im Laufe des Tages dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt werden, der ihm den Haftbefehl eröffnen wird.

Nach den bisherigen Erkenntnissen bildeten die am 4. November 2011 verstorbenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gemeinsam mit der verfolgten Beate Zschäpe seit dem Jahr 1998 den "NSU". Diese Gruppierung soll für die neun Morde an Mitbürgern türkischer und griechischer Herkunft der Jahre 2000 bis 2006, den Mordanschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn vom 25. April 2007 sowie die Sprengsatzanschläge vom 19. Januar 2001 und vom 9. Juni 2004 in Köln verantwortlich sein.

Zweck der Vereinigung war es, aus einer fremden- und staatsfeindlichen Gesinnung heraus vor allem Mitbürger ausländischer Herkunft zu töten und Sprengstoffanschläge zu begehen. Zudem sollen ihre Mitglieder Geldinstitute überfallen haben, um ihren Finanzbedarf zu decken.

Andre E. wird der rechtsextremen Szene in Sachsen um die Gruppe "Brigade Ost" zugeordnet. Die Ermittlungen haben ergeben, dass der Beschuldigte seit dem Jahr 2003 in engem Kontakt mit den Mitgliedern des "NSU" stand. Er ist dringend verdächtig, im Jahr 2007 den menschenverachtenden Propagandafilm hergestellt zu haben, mit dem sich die terroristische Vereinigung zu den Ceska-Morden und dem Mordanschlag auf die beiden Heilbronner Polizisten bekannt hat.

Der Film enthält zudem Sequenzen aus der öffentlichen Berichterstattung über die beiden Sprengstoffanschläge in Köln, die auf eine Urheberschaft des "NSU" schließen lassen. Im Mai 2009 soll der Beschuldigte den "NSU"-Mitgliedern Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe außerdem ermöglicht haben, auf ihn und seine Ehefrau ausgestellte Ermäßigungskarten der Deutschen Bahn AG zu nutzen.

Weiterer Verdächtiger aus Niedersachsen

Im Zusammenhang mit der rechten Terrorzelle gibt es außerdem offenbar einen weiteren Verdächtigen aus Niedersachsen. Dabei handle es sich um den 43-jährigen Bruder des bereits festgenommenen Holger G. aus Lauenau.

Der aus Hannover stammende Dirk G. soll der Polizei bereits mehrere Jahre als Rechtsextremist bekannt gewesen sein, berichtete der "Weser-Kurier". Zudem soll Holger G. viel tiefer in die rechte Szene rund um Hannover verwickelt gewesen sein, als bisher angenommen. Nach Informationen der Zeitung hatte er auch Kontakte zur NPD.

Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung gefordert

Nach der Neonazi-Mordserie hat der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wegen seines Umgangs mit dem rechtsextremistischen Terror zum Rücktritt aufgefordert. Friedrich sei "dieser Herausforderung nicht gewachsen", sagte Wiefelspütz dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Seinem Eindruck nach stehe der CSU-Politiker "unter Schockstarre", fügte der SPD-Politiker hinzu. "Wir müssen wieder in die Offensive kommen. Wir müssen die Demokratie stärken." Das gehe mit diesem Minister nicht, sagte Wiefelspütz.

Der Vorsitzende der Polizei-Gewerkschaft GdP, Bernhard Witthaut, fordert unterdessen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Die Beamten könnten dann nach einem Verbrechen "ein Netzwerk besser recherchieren und weitere Details nachermitteln", sagte er am Donnerstag im ARD-"Morgenmagazin". Aus "rein ermittlungstaktischen Gründen" müssten Daten bis zu zwei Jahren gespeichert werden. Dies hätte auch im Fall des Zwickauer Neonazi-Trios hilfreich sein können.

Es müsse aufgeklärt werden, ob auch die Polizei in dem Fall Fehler gemacht habe, etwa in der Zusammenarbeit mit anderen Behörden. Witthaut verwies aber darauf, dass die Rechtsterroristen jahrelang nicht an die Öffentlichkeit getreten seien, was "atypisch" sei.

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, hat in der jüngsten Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums kritisiert, dass seine Behörde mögliche Versäumnisse im Bereich Rechtsterrorismus nicht vollständig aufarbeiten könne. Der "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtete vorab unter Berufung auf Teilnehmer, Grund dafür sei, dass personenbezogene Akten laut Verfassungsschutzgesetz nach fünf Jahren vernichtet und nur in besonderen Fällen zehn Jahre lang aufbewahrt werden dürften.

Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz muss nach Informationen der Zeitung gemäß Landesverfassungsschutzgesetz spätestens nach fünf Jahren prüfen, ob Daten zu löschen sind. Ob das Amt noch alle Akten über das aus Thüringen stammende Terror-Trio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos besitzt, konnte eine Sprecherin dem Blatt nicht sagen.

(jre)
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