Analyse CDU sucht den neuen schwarzen Sheriff

Das Vertrauen in die CDU-Kompetenz bei der inneren Sicherheit wurde durch die Flüchtlingskrise beschädigt. Kramp-Karrenbauer geht nun auf die Konservativen zu, aber einen Manfred Kanther wird sie nicht finden.

Gremiensitzungen der CDU waren Angela Merkel immer heilig. Auch Dienstreisen an das andere Ende der Welt endeten für die Kanzlerin am Montagmorgen um 9 Uhr. Dann nahm die Parteivorsitzende in Berlin das Präsidium in Empfang. So flog sie 2013 nur über das Wochenende zum EU-Lateinamerika-Gipfel nach Chile, am Montagmorgen saß sie wieder im Konrad-Adenauer-Haus. Denn: Als Parteichefin hatte sie immer Bedenken, dass zu Hause die Mäuse auf den Tischen tanzen, während sie unterwegs ist. Jetzt, da der Vorsitz in den Händen ihrer Favoritin Annegret Kramp-Karrenbauer liegt, spielt das für Merkel keine Rolle mehr. Die CDU-Gremien tagten am Montag ohne sie. Ein Novum.

Die Kanzlerin machte Politik beim ersten Gipfel der Europäischen Union und der Arabischen Liga im ägyptischen Badeort Scharm el Scheich, und die Parteispitze schlug Pflöcke ein zur Migrations- und Sicherheitspolitik und zur Kritik an der ungarischen Fidesz. Die Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán hat zuletzt mit einer Plakatkampagne Empörung in der europäischen konservativen Parteienfamilie EVP ausgelöst, in der sie dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker und dem US-Milliardär George Soros die Förderung illegaler Einwanderung vorwirft.

Der Koalitionspartner SPD wird von der CDU noch einmal mit dem selben Vorwurf aus der Vorwoche traktiert: Justizministerin Katarina Barley solle endlich den Weg freimachen für den Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums zur Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft bei IS-Kämpfern, die neben dem deutschen noch einen weiteren Pass haben. Das will Barley auch. „Ich bin mir mit meinem Kollegen Horst Seehofer einig, dass wir dieses konkrete Vorhaben zeitnah umsetzen werden.“ Nur: Der vom Bundesinnenminister vorgelegte Gesetzentwurf enthalte Regelungen, die über den Koalitionsvertrag hinausgingen. Barley macht auch klar, dass es sich nur um künftige Fälle handeln könne und ein Gesetz nicht rückwirkend für die jetzt aktuellen Fälle von deutschen IS-Kämpfern gelten könne. „Wenn Deutschen, die eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen, die konkrete Beteiligung an einer Kampfhandlung einer Terrormiliz im Ausland nachgewiesen werden kann, müssen sie künftig die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren können.“ Künftig.

Wie sich das aber angefühlt habe, so eine Sitzung ohne Merkel, wird CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak gefragt. Trotz allem offensichtlich unspektakulär, denn er antwortet kurz und knapp: „Wir arbeiten Hand in Hand.“ So ganz stimmt das aber nicht, denn Merkel ist gewarnt seit Kramp-Karrenbauers Analyse des „CDU-Werkstattgesprächs“ zur Migration, wonach bei einer Situation mit Flüchtlingen wie 2015 als Ultima Ratio auch die Grenze dichtgemacht werden könnte. Das würde Merkel nie akzeptieren. Nun kommt es darauf an, wie die beiden Frauen da „Hand in Hand“ die Partei ausrichten werden.

Ein Prüfstein wird das Programm für die Europawahl am 26. Mai sein. Denn die Ergebnisse des „Werkstattgesprächs“ sollen in das Papier einfließen. Dabei geht es Ziemiak zufolge vor allem darum, ein europäisches Ein- und Ausreiseregister zu schaffen, die Grenzschutzagentur Frontex zu einer operativen Grenzpolizei auszubauen sowie gemeinsame Standards beim Asyl in Europa zu etablieren. Kramp-Karrenbauers Bemerkung zur Grenzschließung?

Konservative in CDU und CSU sind erleichtert über diese Ultima Ratio der neuen CDU-Chefin. Aber sie trifft nicht auf einhellige Zustimmung in der Union. Womöglich wollte sie intern die Wogen endgültig glätten, indem sie sich von Merkel in dieser Frage absetzt, vielleicht hat sie sich auch unbedacht geäußert. Sie hat damit für einen Moment die in Teilen der Partei immer noch vorhandene Sehnsucht nach einem schwarzen Sheriff wie einst Manfred Kanther und Alfred Dregger ob deren Klare-Kante-Politik gestillt. Aber sie wird sie auf diese Weise kaum dauerhaft erfüllen können.

Selbst der als Hardliner bezeichnete CDU-Innenexperte und frühere Polizist Armin Schuster sagt: „Wir machen ja keine Grenze dicht. Wir wollen auch nicht wie Donald Trump eine neue Mauer bauen. Das Wort Grenzschließung ist nicht fachmännisch und wird deshalb so auch nicht ins Europawahlprogramm der Union kommen.“ Das ist ein Statement. Von jemandem, der Merkel in der Flüchtlingspolitik als zu schwach kritisiert hatte und deren Nachfolgerin nun in ihrem Überschwang bremst.

Schuster sagt: „Wir wollen eine lageangepasste, intelligente Grenzüberwachung mit Schleierfahndung und Kontrollen an Brennpunkten.“ Notfalls könne das zu verstärkter Grenzsicherung und Zurückweisungen führen. Denn es müsse das Versprechen eingelöst werden, dass der Schengen-Raum auch ohne Schlagbäume an den Binnengrenzen sicher sei. Er betont: „Deutschland kann – wenn es darauf ankommt – seine Grenzen schützen.“

Das hatten vor allem Bundespolizisten, die 2015 in Grenznähe eingesetzt waren, nicht so empfunden. Das Verhältnis zwischen dem Präsidenten des Bundespolizeipräsidiums, Dieter Romann, und Merkel ist seither zerstört. Aber wer könnte heute eine Rolle wie Dregger einnehmen? Schuster meint: „Deutschland ist liberaler geworden. Auch ein Dregger oder Kanther würde heute eine andere Politik machen.“ Nötig sei eine „moderne und konsequente Sicherheitspolitik“. Das sei die Balance zwischen der Anwendung des Rechts und humanitärer Hilfe.

Bei aller Sehnsucht nach einfachen Botschaften kann demnach keine Partei mit Verantwortungsbewusstsein die komplizierte Welt in Schwarz und Weiß aufteilen. Schuster formuliert es so: „Der Ruf nach einem schwarzen Sheriff passt nicht in die heutige Zeit.“

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