Krise in der Ampel Wo ist der Kanzler?
Analyse | Berlin · Die Ampel zofft sich über das Heizungsgesetz - und balanciert dabei durchaus am Abgrund entlang. Mit dem Bruch der Koalition rechnet man zwar nicht, aber das Vertrauen hat sehr gelitten. Und in Berlin fragt man zunehmend: Wo ist der Kanzler?
Ob man nun Anhänger von Kanzler-Machtworten ist, oder nicht: Spricht man dieser Tage mit führenden Politikern der Ampel-Regierung, dann hört man die Frage: „Wo ist der Kanzler?“ doch relativ häufig. Die Ampel hat sich, wieder einmal, zerstritten. Doch diesmal - und das ist der Unterschied - sind die Protagonisten auch alle etwas erschrocken. Denn man hat noch nicht einmal die Halbzeit der Legislaturperiode erreicht. Und auf einmal wird im Dreierbündnis darüber zumindest sinniert, wie sich der Bundespräsident eigentlich verhalten würde, sollte das Bündnis platzen.
Olaf Scholz ist am Donnerstagnachmittag im Kanzleramt, soviel steht fest. Der SPD-Regierungschef empfängt den zyprischen Staatspräsidenten Nikos Christodoulides. Bei der Pressekonferenz wird er nach dem Streit gefragt. Scholz sagt, er habe alle „sehr dringend gebeten, dass sie in den nächsten Wochen die konkreten Fragen, die alle lösbar sind, miteinander lösen“. Und fügt hinzu: „Mein Eindruck ist, genauso wird’s werden.“
Nun. Doch die Gemüter sind schon sehr erregt. Bis in die höchsten Etagen der Ampel-Regierung ist von Handschlägen die Rede, die nicht eingehalten worden sind. Ein Fragenkatalog von wahlweise 101 oder 77 Fragen spielt eine Rolle, Übergangsfristen, Sondersitzungen, Stichtage. Eine bunte Gemengelage möchte man meinen - doch die Verletzungen dahinter sind nicht zu überhören. Eigentlich hat es bislang zumindest menschlich immer gepasst. Den Koalitionsbruch schließt zwar jeder Gesprächspartner aus, aber das Wort wird immerhin in den Mund genommen. Von einem „Lackmustest“ für die Führungsfähigkeit des Kanzlers ist die Rede.
Um was geht es konkret? Wegen grundsätzlicher Bedenken hat die FDP verhindert, dass der vom Kabinett bereits beschlossene Gesetzentwurf zum Gebäudeenergiegesetz (GEG) in dieser Woche im Bundestag behandelt wurde. Darin ist vorgesehen, dass vom kommenden Jahr an jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 Prozent mit Öko-Energie betrieben werden muss, eine Verabredung aus dem Koalitionsvertrag. Bestehende Öl- und Gasheizungen können weiter betrieben und kaputte repariert werden.
Das Gesetz wurde im Wirtschaftsministerium entwickelt, zu einem frühen Zeitpunkt durchgestochen, worüber sich der grüne Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck öffentlich echauffierte. Es folgte ein 30-stündiger Koalitionsausschuss, der eine Einigung brachte. Das Gesetz wurde im Kabinett verabschiedet, versehen mit einer Protokollnotiz von Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, dass es noch Änderungen im parlamentarischen Betrieb bedürfe.
Wenn man jetzt nachspürt, warum das Gesetz, offensichtlich in großen Teilen nicht geeint, überhaupt ins Kabinett kam, verweist einer auf den anderen.
An diesem Dienstag dann, während Kanzler Scholz in der SPD-Zentrale 160 Jahre SPD feiert, können sich die Fraktionen nicht darauf einigen, das GEG im Parlament aufzusetzen. Auch der mächtige SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kann den Knall nicht verhindern. Danach spricht Habeck vom „Wortbruch“ der FDP, die grüne Fraktionschefin Britta Haßelmann stellt gar die Handlungsfähigkeit der eigenen Regierung in Abrede.
Kritik wird hinter den Kulissen nun laut am Chef des Kanzleramtes, Wolfgang Schmidt. Der SPD-Politiker hätte als Architekt der Ampel die losen Enden rund um den Kabinettsbeschluss zusammenführen, den Eklat unbedingt verhindern müssen, heißt es. Aber er habe seine politische Autorität nicht genutzt. Dass der Kanzler, der vergangene Woche tagelang beim G7-Gipfel in Japan und anschließend in Südkorea weilte, sich selbst einmische, sei nicht nötigt. Aber es hätte jemand mit seiner Autorität sein müssen. Es ist dann schließlich an SPD-Chef Lars Klingbeil Mitte der Woche in einem TV-Auftritt die politischen Scherben aufzusammeln; eine eher undankbare Aufgabe.
Bei der Union lehnt man sich zurück, man muss nur zusehen. „Wenn der Streit nicht aufhört, dann wird er gar nicht anders können, als die Vertrauensfrage zu stellen“, sagt Oppsoitionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz. Und wenn die Koalitionsfraktionen sich weiter so verhalten wie gegenwärtig, dann ist diese Regierung am Ende.“
Da ist es schon fast eine Nachricht, dass Lindner am Donnerstagmittag auf einem Podium in Berlin sagt, dass er als Finanzminister gerne noch sieben Jahre lang zu eben jener Veranstaltung kommen wolle. Welcher Regierung er dabei angehören möchte, sagt er zwar nicht, attestierte Habeck aber zuvor das Land gut durch die Energiekrise gesteuert zu haben.
Wie kann eine Lösung nun aussehen? Ziel von Grünen und SPD ist es, das Gesetz vor der parlamentarischen Sommerpause zu verabschieden, es zum 1. Januar 2024 notfalls mit langen Übergangsfristen in Kraft treten zu lassen. Ob das in der nächsten Sitzungswoche vom 12. Juni an wirklich gelingen kann?
Habeck will nun zeitnah Vertreter der drei Ampel-Fraktionen zum Austausch treffen. Und es gibt noch mehrere, die reden werden. Die Parteivorsitzenden mit den Ministern, alle mit dem Kanzler - daraus macht niemand einen Hehl. Ein „Anwalt des Verfahrens“ sei nötig. Einer, der, wie damals beim Atomausstieg, den Knoten lösen kann. Scholz muss handeln - sonst könnte die Heizung dafür sorgen, dass die Stimmung in der Ampel noch sehr viel frostiger wird.