Analyse Alexis Tsipras kann seine Wähler nur enttäuschen

Athen · Zeitenwende in Griechenland. Und was für eine: Die linke Syriza koaliert mit den Rechtspopulisten. Schon allein das dürften viele Wähler als eine Zumutung empfinden. Die Euphorie wird schnell einem beinharten Kater weichen. Syriza-Chef und neuer griechischer Ministerpräsident Alexis Tsipras hat Erwartungen geschürt, die er nicht erfüllen kann.

Schon in wenigen Tagen dürfte ihn die graue Realität ereilen. Er wird dann tun müssen, was sein konservativer Vorgänger Antonis Samaras beenden wollte: mit der in der Bevölkerung verhassten Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF über Hilfen mit Auflagen verhandeln.

Den Zwang illustrieren zwei Zahlen: Das Land muss im ersten Quartal mehr als vier Milliarden Euro an Krediten zurückzahlen - davon allein fast drei Milliarden Euro an den IWF. Zudem fehlt bislang die Grundlage dafür, dass dem Land gut sieben Milliarden Euro von den Hilfen zufließen, die ihm in Aussicht gestellt worden waren und mit denen die griechische Regierung schon fest kalkulierte.

Für EU-Kommissar Günther Oettinger ist damit in Hinblick auf Griechenland klar: "Es braucht ein neues Paket." Das Land komme ohne neue Finanzhilfen seiner Partner nicht aus. Wie er dieses ganz kurzfristige Problem lösen will, hat Tsipras allerdings bislang verschwiegen. Vielmehr kosten seine publikumsträchtigen Versprechung im Wahlkampf, den Sparkurs abrupt zu beenden und schmerzhafte Einschnitte - etwa bei Renten, bei den Gehältern der öffentlichen Bediensteten - zurückzunehmen, noch viele Milliarden zusätzlich.

Ein Schuldenschnitt ist keine Lösung

Was Tsipras' spektakuläre Kernforderung angeht, den Geldgebern einen Verzicht auf einen Großteil der Staatsschulden von rund 318 Milliarden Euro abzuringen, so würde das - selbst wenn des die Geldgeber akzeptieren würden, wofür es keinerlei Anzeichen gibt - den Staatshaushalt kurzfristig kaum entlasten.

Denn die Schulden belasten den Haushalt aktuell ohnehin nur gering. Zum einen sind die Zinsen nach den verbesserten Konditionen im Zuge früherer Rettungsbemühungen mit rund 2,4 Prozent schon deutlich niedriger als die Deutschlands. Darauf verwies erst kürzlich wieder Michael Kemmer vom Bundesverband deutscher Banken. Zudem ist Griechenland von den europäischen Partnern aktuell von Tilgungen weitgehend freigestellt.

Die fallen erst im nächsten Jahrzehnt an. Das gilt allerdings nicht für den IWF. An den muss das Land kurzfristig im ersten Quartal rund 2,8 Milliarden Euro zahlen, wie der Finanzminister der abgewählten Regierung Gikas Hardouvelis vor wenigen Tagen sagte. Dass der IWF eine auf seine Forderung verzichtet, wäre eine Novum. Denn der Fonds lässt sich üblicherweise als bevorzugter Gläubiger behandeln.

In Brüssel muss Tsipras Farbe bekennen

Der Syriza-Chef muss damit schon in den nächsten Tagen in Brüssel gegenüber den europäischen Partnern Farbe bekennen. Dort geht es für ihn nicht mehr um feurige Ankündigungen, sondern um ganz Profanes: er muss kurzfristig Geldgeber finden. Für den Star der Wahl könnte sich das als äußerst schwierig erweisen. Im europäischen Ausland kann er kaum auf Verbündete zählen.

Wenn er das Land im Euro halten will, was er zuletzt beteuerte und was nach Umfrage eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Griechen will, so wird sich auch Tsipras Bedingungen stellen müssen - das machte nicht nur EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, der mit dem Wahlsieger noch in der Nacht nach der Wahl telefonierte, klar, das ist auch einhellige Meinung in Brüssel und den europäischen Hauptstädten.

Erste Aufgabe des neuen griechischen Ministerpräsidenten wird es nun sein, für einen ordentlichen Abschluss des Ende Februar auslaufenden Griechenland-Hilfsprogramms zu sorgen. Denn damit könnte er den Weg für die Zahlung der zugesagten gut sieben Milliarden Euro an Hilfen freimachen. Ursprünglich sollte das Programm mit einer letzten Tranche bereits Ende Dezember 2014 abgeschlossen sein.

Fliehkräfte in der Linken

Doch die Regierung erfüllte nach Auffassung der Troika die im Gegenzug für die Hilfen zugesagten Reformauflagen nicht. Dieses Problem muss Tsipras aus der Welt schaffen - wofür er wohl eine erneute Fristverlängerung um ein paar Monate benötigt.

Für den Linkspolitiker stellt dies allerdings bereits ein erstes Glaubwürdigkeitsproblem dar: Er muss mit der von ihm verabscheuten Troika verhandeln, die in Griechenland als Inbegriff all der schmerzhaften Sparauflagen der letzten Jahre gilt. Und die beharrt genau auf dem, was Tsipras durchbrechen will: auf der Erfüllung schmerzhafter Reformzusagen etwa im Arbeitsmarkt, die die Vorgängerregierung gemacht hatte.

Das dürfte Tsipras auch deswegen noch gewaltige Kopfschmerzen bereiten, weil ihm der gesamte eigene Laden um die Ohren zu fliegen droht. Syriza ist nur ein Zusammenschluss mehrerer linker Strömungen und erst seit 2012 als Bündnis in einer Partei organisiert. Die teils radikalen Strömungen mit stramm kommunistischer Vergangenheit werden sich Tsipras nicht widerstandslos fügen. Gerne als Widersacher genannt wird der Hardliner Panagiotis Lafazanis. Ginge es nach ihm, würde Athen den Euro lieber heute als morgen zurückgeben und der EU den Rücken kehren.

(REU)
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