Verbraucherschutzministerin im Interview Aigner kritisiert Billigbier

Berlin (RP). Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner hat den Unterbietungswettkampf im Einzelhandel kritisiert. "Bei vier Euro für den Kasten Bier habe ich Zweifel, ob man das noch qualitätsorientiert herstellen kann", sagte die CSU-Politikerin im Interview mit unserer Redaktion. Sie regte an, Grundwissen zum Verbraucherschutz in den Schulunterricht zu integrieren. Im Mathematikunterricht könnten schon wichtige Grundlagen für das Durchschauen von Finanzprodukten gelegt werden. In der Finanzkrise hatten viele ihre gesamten Ersparnisse verloren.

Das ist Ilse Aigner
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Vier Euro für den Kasten Bier. Die CSU-Politikerin mit Bierzelterfahrung dürfte sich freuen, die Verbraucherschutzministerin auch?

Aigner Das muss immer in einer guten Balance sein. Wenn es zu Qualitätseinbußen kommt, weil es zu den Preisen gar nicht mehr vernünftig produziert werden kann, dann ist das nicht im Sinne des Verbrauchers. Bei vier Euro für den Kasten Bier habe ich Zweifel, ob man das noch qualitätsorientiert herstellen kann.

Sollte der Verbraucher also misstrauisch sein bei solchen Preisen?

Aigner Die Vermutung liegt nahe, dass da irgend etwas nicht mehr stimmt. Es geht um die Frage, welchen Preis ein Lebensmittel haben muss. Und zu den Mitteln zum Leben zähle ich — in Maßen — auch Bier. Da muss ich andere Kriterien anlegen als an andere Produkte.

Damit wären wir bei der Milch, was wäre hier ein fairer Preis pro Liter?

Aigner Das lässt sich nicht in Euro und Cent ausdrücken, weil die Produktionsbedingungen in Schleswig-Holstein ganz anders sind als in Bayern.

Gibt es einen Korridor dafür, was bei den Bauern ankommen sollte?

Aigner Die einen produzieren für 22 Cent, die anderen brauchen 38 Cent, das hängt auch davon ab, wie der einzelne Betrieb betriebswirtschaftlich, z.B. mit seinem Maschinenpark aufgestellt ist, aber auch unter welchen landwirtschaftlichen Bedingungen er zu wirtschaften hat und welche gesellschaftlichen Leistungen, zum Beispiel in der Landschaftspflege, erbracht werden.

Als eine Lösungsmöglichkeit wird das Schlachten von Milchkühen vorgeschlagen. Wie viele Kühe sind zu viel in Deutschland?

Aigner Das Schlachten bringt gar nichts, wenn ich die Menge nicht aus dem Markt nehme. Denn an die Stelle der geschlachteten alten Kuh tritt dann eine jüngere, die noch mehr Milch gibt. Und so lange der eine mehr Milch produziert, während der andere die Milchquote herabsetzt, kommen wir auch nicht weiter. Außerdem habe ich aus Tierschutzgründen Bedenken gegen eine solche Maßnahme.

Und was wäre Ihr Hebel?

Aigner Es gibt eine erste Initiative, diejenigen Milchbauern zu belohnen, die sich an die Quote halten. Es wäre schön, wenn sich das weiter verbreitete.

Ihnen wird vorgeworfen, die "Ampel", mit der der Nährwert von Lebensmitteln plakativ gekennzeichnet werden kann, in der EU verhindern zu wollen.

Aigner Ich verhindere da überhaupt nichts. Es gibt einen Vorschlag der Kommission, der diskutiert wird. Wir haben bereits eine Leitlinie, damit die Kennzeichnung einheitlich ist, und freiwillig kann jeder jetzt schon auch eine Ampelkennzeichnung machen. Wir sind da in der Diskussion.

Wie lange noch?

Aigner Auf europäischer Ebene wird es noch ein halbes bis ein Jahr dauern.

Ende 2010 wird man die Ampel auf den Verpackungen sehen können?

Aigner Freiwillig ja, verpflichtend nicht.

Es bleibt trotzdem schwierig, sich vor den Lebensmittelregalen zurecht zu finden.

Aigner Ich sehe hier auch die Schulen in der Pflicht. Sie haben die Aufgabe, die Kinder aufs Leben vorzubereiten. So ist es nicht schlecht zu wissen, was H2SO4 ist: Schwefelsäure. Aber es sollte vielleicht auch bekannt sein, was E104 ist. Dabei handelt es sich um einen gelben Farbstoff, der in vielen Lebensmitteln, vom Senf über den Schmelzkäse bis zum Eis und der Limonade verarbeitet wird und Allergien auslösen kann. Er ist grundsätzlich nicht schädlich, aber Allergiker sollten das wissen.

Eine Sache also vor allem für den Chemie-Unterricht?

Aigner Verbraucherschutz betrifft viele Fächer. Wir sollten uns überlegen, welche Kenntnisse wichtig fürs Leben sind. Da gehören, wie wir jetzt in der Krise gelernt haben, auch die Finanzdienstleistungen dazu. Viele haben ihre gesamten Ersparnisse verloren. Wie wäre es also, im Mathematikunterricht schon wichtige Grundlagen für das Durchschauen von Finanzprodukten zu legen? Oder im Biologieunterricht zu klären, was man zum Leben unbedingt braucht und was nicht so wichtig oder sogar schädlich ist. Es geht nicht um ein Fach Verbraucherschutz, es geht darum, das Grundwissen in den verschiedensten Fächer zu integrieren.

Haben Sie selbst ihr Verhalten auch verändert?

Aigner Ich schaue jetzt übrigens nicht nur bei meinen Geldanlagen genauer hin und nehme dann im Zweifel auch schon mal ein anderes Produkt.

Bedeutet Ihr Genmais-Verbot eine grundsätzliche Abkehr von grüner Gentechnik?

Aigner Nein. Nehmen Sie etwa die Menschen mit Glutamin-Unverträglichkeit. Wenn wir da ein Getreide bekämen ohne diesen Bestandteil, wäre das ein Gewinn.

Sowohl die Bildungs- als auch die Entwicklungsministerin sagen, ohne grüne Gentechnik wäre die Welt nicht ernährbar.

Aigner Das sehe ich anders. Für die Welternährung sind verschiedene Faktoren wichtig. Da geht es darum, dass die Menschen genügend Wasser und Saatgut und Gelegenheit haben, Nahrungsmittel zu produzieren. Das muss zuerst angegangen werden. Ich bin enttäuscht, dass in den Entwicklungshilfeetats der Bereich der ländlichen Entwicklung, in den zurückliegenden Jahren immer weniger gefördert worden ist. Das wird jetzt anders".

Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie die großen Fußstapfen Ihres Vorgängers Horst Seehofers erwähnt — haben Sie darin Tritt gefasst?

Aigner Meine Füße sind nicht größer geworden, aber ich kann selbstbewusst sagen, dass ich mich in kurzer Zeit in das Amt eingegraben und auch einiges auf den Weg gebracht habe. Das stimmt mich froh.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Seehofer?

Aigner Gut.

Es heißt, er regiere über Sie weiter mit.

Aigner Das stimmt nicht.

Ist es klug, dass die CSU ihre Unterschiede zum CDU-Programm derart betont? Der Wähler mag keinen Streit.

Aigner Das ist kein Streit. Wir sind zwei Parteien, aber wir sitzen in einem Boot.

Wird die CSU das Verbraucherschutzministerium nach der Wahl wieder für sich reklamieren?

Aigner Davon gehe ich aus, aber zuerst ist es wichtig, dass CDU und CSU wieder stärkste Fraktion werden, dass wir mit der FDP die Regierung stellen, und wir mit der SPD wieder eine stärkere Opposition in Deutschland bekommen.

Und was tut sich nach der Wahl in Ihrem Politikfeld?

Aigner Ich lasse derzeit überprüfen, wie viele Verordnungen Hersteller berücksichtigen müssen, bis die Ware im Laden verkauft werden kann. Hier lässt sich vieles bestimmt stringenter mit mehr Klarheit für Produzenten und Verbraucher machen. Da wird noch ein sehr, sehr dickes Brett zu bohren sein. Und dann brauchen wir eine unabhängige Zertifizierung für Spielzeug, um die Kinder vor Schadstoffen etwa aus Fernost zu schützen. Das haben wir bislang in der EU nicht durch bekommen. Aber das kommt wieder auf die Tagesordnung. Dafür werde ich weiter kämpfen.

Welche Erkenntnis haben Sie in Ihrer Ministerzeit gewonnen?

Aigner Dass die Mechanismen der europäischen Landwirtschaft noch komplizierter sind, als ich gedacht hatte.

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