Städtetagspräsident Jung: „Müssen uns auf viele Flüchtlinge vorbereiten“ Afghanistan: Kommunen fordern von Berlin konkrete Angaben über Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge

Berlin · Die Kommunen haben Bund und Länder aufgefordert, ihnen sehr rasch konkrete und verlässliche Angaben über die Zahl der zu erwartenden Flüchtlinge aus Afghanistan zu machen. Es gehe nicht nur um Ortskräfte, von denen derzeit Hunderte per Bundeswehr-Luftbrücke ausgeflogen würden. „Wir müssen uns vorbereiten, dass es viele Flüchtlinge werden könnten“, warnt der Städtetagspräsident.

 Geflüchtete sitzen in einem Airbus A400M der Bundeswehr. Die Bundeswehr hat am Wochenende weitere deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte aus Kabul evakuiert.

Geflüchtete sitzen in einem Airbus A400M der Bundeswehr. Die Bundeswehr hat am Wochenende weitere deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte aus Kabul evakuiert.

Foto: dpa/-

„Ja, wir wollen helfen, das ist unsere Verpflichtung. Die Hilfsbereitschaft vor Ort ist groß. Die Städte sind bereit, die Geflüchteten aus Afghanistan aufzunehmen und ihnen ein gutes Ankommen zu ermöglichen“, sagte Städtetagspräsident Burkhard Jung (SPD) unserer Redaktion. „Viele Städte halten bereits jetzt freie Kapazitäten vor oder bereiten diese vor. Auch die lokalen Bündnisse sind aktiv und bieten Unterstützung für die Integration an. Denn Integration geschieht vor Ort“, sagte Jung.

„Was wir aber darüber hinaus brauchen, ist eine konkrete verlässliche Aussage von Bund und Ländern zu den mit ziemlicher Sicherheit kommenden Flüchtlingen aus Afghanistan. Und das muss schnell gehen“, forderte der Leipziger Oberbürgermeister. „Das betrifft sowohl die Aufnahme der Menschen, die jetzt über die Luftbrücke kommen, als auch die zukünftige Aufnahme von weiteren Menschen in Not“, sagte er. „Wir sollten uns vorbereiten, dass es viele werden könnten.“

Jung weiter: „Dafür müssen die Länder ausreichend Reservekapazitäten in ihren Erstaufnahmeeinrichtungen reaktivieren oder zusätzliche neu schaffen. Und die Städte müssen wissen, was auf sie zukommt. Denn sie sind es, die am Ende Quartiere bereitstellen, Sprach- und Integrationskurse organisieren und die Menschen unterstützen. Nur so wird auch die Akzeptanz in weiten Teilen der Bevölkerung gelingen. Das alles muss dann auch auf der langen Strecke im Wesentlichen durch Bund und Länder finanziert werden“, forderte der Städtetagspräsident.

Die Bundeswehr konnte nach der Machtübernahme der Taliban bis Sonntag bislang insgesamt 2300 Menschen in Sicherheit bringen, die USA retteten bisher 17.000 Personen. Im chaotischen Gedränge Tausender verzweifelter Menschen am Flughafen in Kabul sind unterdessen mindestens sieben Menschen ums Leben gekommen. Die Evakuierungsaktion der Bundeswehr stockte am Samstag zeitweise, in einigen Fliegern konnten nur wenigen Menschen in die usbekische Hauptstadt Taschkent gebracht werden. Bundeswehr und Verteidigungsministerium betonten, dass die Lage vor Ort in Kabul schwierig sei. Zeitweise seien die Tore zum Flughafen geschlossen gewesen.

Auch der Städte- und Gemeindebund begrüßte die Evakuierungsaktionen der Bundeswehr und plädierte für eine großzügige Aufnahme der afghanischen Ortskräfte und ihrer Familien. „Das ist eine moralische und humanitäre Verpflichtung, die auch eien wichtige politische Dimension für die Zukunft hat“, sagte Gemeindebunds-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg. Es werde auch in Zukunft internationale Einsätze geben, an denen sich Deutschland beteiligen werde, bei denen die Hilfe von Ortskräften unverzichtbar sei. „Deutschland darf seinen guten Ruf als zuverlässiger Partner nicht aufs Spiel setzen“, warnte er. Kapazitäten seien bundesweit ausreichend vorhanden. „Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen sind zum Beispiel die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes derzeit nur zu 40 Prozent ausgelastet“, sagte Landsberg. „Hinzu kommt, dass die Integration dieser Menschen deutlich leichter fallen dürfte. Afghanische Menschen, die für Deutschland gearbeitet haben, verfügen bereits jetzt regelmäßig über deutsche Sprachkenntnisse und kennen durch ihre Arbeit zumindest teilweise die Strukturen unseres Landes und auch die bürokratischen Abläufe“, sagte Landsberg.

„Wir müssen allerdings davon ausgehen, dass über diesen Personenkreis hinaus viele Afghanen ihr Heil in der Flucht suchen werden. Hier muss es internationale Vereinbarungen mit den unmittelbaren Nachbarstaaten, gegebenenfalls aber auch Kontingente unter Einbeziehung der USA, Kanada, Großbritannien und der EU geben“, forderte Landsberg.

Bei den Kontingenten sollten die besonders bedrohten Frauen angemessen berücksichtigt werden. „Dabei muss sichergestellt werden, dass nicht gerade Deutschland, das schon sehr viele Flüchtlinge etwa aus Syrien aufgenommen hat, am Ende die Hauptlast trägt. Letztlich wird eine solche Kontingentlösung allerdings nur funktionieren, wenn die internationale Gemeinschaft die zukünftige Staatsführung in Afghanistan einbinden kann“, so Landsberg.

Fast zwei Drittel der Bundesbürger sind nach einer Online-Umfrage dafür des Meinungsforschungsinstituts Yorgov dafür, bedrohten Menschen aus Afghanistan Schutz in Deutschland zu gewähren. 63 Prozent der rund 1000 Befragten sprachen sich dafür aus, dass die Bundesregierung Verfolgten helfen sollte. 27 Prozent waren gegen die Aufnahme von Menschen aus Afghanistan.

In mehreren deutschen Städten wurde am Wochenende für eine dauerhafte Luftbrücke aus Afghanistan demonstriert. Für Sonntagmittag wurde auch zu einer Demonstration am Berliner Kanzleramt aufgerufen.

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