AfD-Umfragen und die Brandmauer Mit Realitätsverweigerung ist niemandem mehr geholfen
Meinung | Berlin · In Sachsen und Brandenburg gehen die Umfragewerte der AfD weiter hoch, in Thüringen ringt die CDU mit der Brandmauer. Die anderen Parteien müssen ihre Politik dringend neu justieren – es gilt, sich endlich mehr an den Realitäten zu orientieren.

Die bekanntesten Politiker der AfD seit 2013
Mit Realitätsverweigerung ist niemandem mehr geholfen. Auch nicht mit langen, teils akademischen Vorträgen aus den anderen Parteien, warum die AfD die Demokratie gefährde, warum man sie nicht wählen solle. Alles hinlänglich bekannt – und wirkungslos, wenn man die jüngsten Umfragen etwa in Sachsen und Brandenburg sieht. Auch in Hessen geht es vor der Landtagswahl am 8. Oktober weiter nach oben für die Rechtspopulisten. Konnte man früher vielleicht noch behaupten, die AfD speise sich vor allem aus dem Reservoir frustrierter Konservativer, so wildert sie mittlerweile erfolgreich bei allen.
Darüber hinaus bröckelt doch die Brandmauer zur AfD längst, wenn sie nicht schon eingestürzt ist manchenorts. Und zur Wahrheit gehört auch: Das ist nicht nur ein CDU-Problem oder eines von Friedrich Merz. Unterschiedliche Formen der Kooperation oder Tolerierung gibt es auf kommunaler Ebene bereits, man sollte nicht so tun, als ob dem nicht so sei.
Hilfreich für die Rechten sind zudem Debatten darüber, ob man Politik noch machen darf, wenn die AfD wie jetzt in Thüringen bei einem CDU-Antrag zur Grunderwerbssteuer mit auf den Zug springt. Ja, was denn sonst? Abseits von einem möglichen Kalkül der dortigen Christdemokraten in der sowieso schwierigen, parlamentarischen Lage in Thüringen - wer da empört eine Grenze fordert, erwartet eine unangemessene, politische Selbstkasteiung, was zurecht auf Unverständnis vieler Wähler treffen dürfte. Wieder etwas, das an der Wirklichkeit vorbeigeht. Solche künstlichen Fesseln stärken die AfD nur, sie schwächen sie nicht.
In Sachsen und Brandenburg wird nächstes Jahr gewählt. In Thüringen auch. Richtig ist, dort führt Björn Höcke das stramme AfD-Regiment, der Mann, der Europa sterben lassen will. In Thüringen ist die Partei noch rechtsextremistischer als anderswo. Vielen Wählern geht aber auch das leider am Allerwertesten vorbei. Jeder, der mit irgendetwas unzufrieden ist, scheint inzwischen sein Kreuz bei der AfD machen zu wollen. Egal, wer diese Partei warum führt, egal, dass sie mit einer Programmatik auftritt, die laut Experten jenen schadet, die sich sowieso irgendwie benachteiligt oder verärgert fühlen. Für die anderen Parteien bedeutet dies ein schier aussichtsloser Kampf gegen Stimmungen und Ressentiments, die sie ursächlich durch politische Fehlentscheidungen und falsche Schwerpunkte mit herbeigeführt haben. Es gibt aber Wege, dagegenzuhalten. Mit Beharrlichkeit. Man muss es nur wollen.
Es gilt, endlich wieder deutlich mehr Politikangebote zu machen, die sich auf die echten Alltagsthemen und Alltagsprobleme der Bürger konzentrieren – und nicht länger vorwiegend das Globale und große Ganze in den Vordergrund zu stellen sowie die Interessen insbesondere urbaner Milieus. Auch braucht es Strukturen, die in der Fläche präsent sind, damit man die Mentalitäten und Schwierigkeiten vor Ort kennt. Viele Dinge, die die Menschen umtreibt, glaubt man im politischen Berlin zwar zu sehen, doch in der Realität wird daran vorbei agiert. Wenn sich das nicht grundlegend ändert, wird sich der Höhenflug der AfD vorerst kaum stoppen lassen.