Analyse Der unaufhaltsame Aufstieg der AfD

Berlin · In Thüringen erreicht die AfD fast genauso viele Sitze wie die Sozialdemokraten. Die Etablierung der AfD im Parteiensystem ist vor allem für die CDU eine Herausforderung, die bislang eine Partei rechts von ihr verhindern konnte.

AfD, Piraten, Schill - Parteien zwischen Höhenflug und Absturz
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Für Bernd Lucke, den Parteichef der AfD, ist auch nach 18 Uhr noch Wahlkampf. Während das ZDF versucht, eine Leitung für ein Interview mit Lucke aufzubauen, ist dieser schon im Bild zu sehen. Eine typische TV-Wahlabendszene. Während Lucke in die Kamera schaut und auf die erste Frage wartet, tanzt hinter ihm ein Wahlplakat mit der Aufschrift: "Banken brauchen Schranken", das ein Helfer zum TV-Interview noch schnell ins Bild hält. Das hat was von Kasperle-Theater.

Und dennoch: Die AfD ist der Wahlsieger des Abends. In den Bundesländern Thüringen und Brandenburg holt sie aus dem Stand zweistellige Ergebnisse. Besonders bitter für die SPD: In Thüringen sind die Traditionspartei der Sozialdemokraten und die populistischen Aufsteiger auf Augenhöhe gelandet.

Der Erfolg hat Ursachen

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Was macht den Erfolg der AfD aus? Parteienforscher gehen davon aus, dass jeder dritte Bürger, der bei der Alternative sein Kreuz gemacht hat, ein Protestwähler ist. Die anderen zwei Drittel wählen die AfD wegen ihrer Themen und Inhalte. Dieser Befund muss die etablierten Parteien nachdenklich machen, insbesondere die Union.

Es war der legendäre frühere CSU-Ministerpräsident Bayerns, Franz-Josef Strauß, der den Grundsatz prägte, rechts von der Union dürfe keine weitere Partei entstehen. Damals war es tatsächlich noch leichter, diesen Grundsatz auch zu erfüllen. Die politische Welt war eingeteilt in Rechts und Links, die Wähler viel stärker als heute in ihren Milieus verhaftet. Und mit kernigen Sprüchen, die heute als politisch unkorrekt eingestuft werden, konnten am rechten Rand jene Wähler bei Laune gehalten werden, die einen nationalen und autoritären Kurs befürworten.

Erstaunlich viele Stimmen von Linken-Wählern

Alexander Gauland (AfD) ist ein altmodischer Konservativer
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Alexander Gauland - AfD-Vize und Russlandversteher

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Wobei der Erfolg der AfD keineswegs erschöpfend erklärt wird, wenn man nur auf die Rechten schaut. Vielmehr zieht die Partei aus allen Lagern Stimmen ab. In Brandenburg beispielsweise hat jeder Fünfte, der noch 2009 die Linkspartei wählte, sich nun für die AfD entschieden. Ihr dortiger Spitzenkandidat heißt Alexander Gauland, ein früherer Staatssekretär der Hessen-CDU, in Zeiten, als die Hessen-CDU noch ein scharfes konservatives Profil hatte.

Nun ist er in der Brandenburger Bevölkerung gut angekommen. Das könnte mit seinen Ansichten zur Ukraine-Krise zusammenhängen. Gegen die eigene Parteilinie äußerte er Verständnis für das Vorgehen Putins in der Ukraine und betonte, der Westen habe die russischen Bedürfnisse missachtet. Mit solchen Ansichten kann man bei Linken-Wählern im Osten landen. Ansonsten zieht die AfD ihre Wähler überwiegend von der Union und von der FDP, die in beiden Ländern vernichtende Ergebnisse erhielt.

Wie ein Chamäleon

In der Person des Brandenburger Spitzenkandidaten Gauland zeigt sich auch das Phänomen, dass sich populistische Parteien oft wie ein Chamäleon verhalten. Je nach Umgebung schillern sie in wechselnden Optiken. Für den seriösen politischen Gegner ist es schwierig, diese Polit-Echsen zu stellen. Das ist aber keine Entschuldigung dafür, dass die bisherige Strategie der Union gegen die AfD krachend gescheitert ist. Während die CDU versuchte, die Konkurrenz von rechts zu ignorieren, probierte die CSU mit eigenem Populismus der AfD beim Europawahlkampf den Schneid abzukaufen. Mit der auf die Armutszuwanderung aus osteuropäischen Ländern gemünzten Parole "Wer betrügt, fliegt" wollten die Christsozialen all jene Wähler einsammeln, denen die geöffneten Grenzen der EU nicht geheuer sind. Zugleich machte die CSU einen pro-europäischen Wahlkampf. Das konnte nicht gut gehen.

Auch die Strategie der CDU, die Eurokritiker mit Nicht-Beachtung klein zu halten, ist schief gegangen. Möglicherweise haben die Christdemokraten damit sogar einen historischen Fehler gemacht, der es der AfD ermöglichte, sich im Parteiensystem festzusetzen. Die Annahme, die Alternative würde wie die Piraten einmal durch die bunten Balken der Wahlabende fegen und dann wieder verschwinden, ist eine Fehleinschätzung. Die AfD ist viel besser und viel professioneller organisiert, als es die Piraten je waren.

Am Tag nach der Wahl berät die CDU

An diesem Montag, wenn sich Präsidium und Vorstand der CDU treffen, rechnen viele Spitzenleute mit einer neuen Debatte über die AfD. "Ich habe viele Gespräche mit Bürgern im Wahlkampf geführt. Das sind nicht alle Verrückte, die AfD wählen", sagt ein führendes Parteimitglied. Die Gruppe derjenigen in der Union wächst, die eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD fordert.

"Wir müssen uns nicht mit der AfD beschäftigen. Aber wir müssen uns dringend mit den Themen beschäftigen, aufgrund derer die Wähler zur AfD wechseln. Das sind die Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie die Sicherheitspolitik", sagte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) unserer Zeitung. Die Union müsse sich mit den Themen befassen, die die Leute interessierten, sagte Fuchs. Er gehe davon aus, dass die AfD nicht einfach wieder verschwinde.

Aufsteiger-Parteien wie die AfD können klassisch auf zweierlei Weise gebremst werden: Erstens durch sich selbst, durch innerparteilichen Zank und Desorganisation. Zweitens durch Entzauberung, wenn sie Verantwortung übernehmen müssen. Doch da die Union zu Recht nicht bereit ist, mit der AfD zu koalieren und der innerparteiliche Streit überschaubar bleibt, wird die Union wahrscheinlich den mühevollen Weg der thematischen Auseinandersetzung gehen müssen.

Um den Wählern die Gewissheit zu geben, ihre Sorgen ernst zu nehmen, muss eine Partei nicht gleich zum Populismus verkommen. Sie muss aber schon den Ehrgeiz haben, dass sie nicht der AfD das Feld überlässt, den konservativ und national denkenden Wählern allein ein Angebot zu machen. Das ist schon der Job der letzten Volkspartei, der CDU.

(qua)
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