Landtagswahlen im Osten AfD-Sieg in Thüringen, Zitterpartie in Sachsen – so reagiert NRW

Dresden/Erfurt/Düsseldorf · Auch in Sachsen erreicht die rechtsextreme Partei mehr als 30 Prozent, liegt aber knapp hinter der CDU. Beide Länder erwarten schwierige Koalitionsverhandlungen. Dem BSW kommt eine Schlüsselstellung zu. Beobachter aus NRW blicken besorgt auf die Entwicklung.

Björn Höcke, AfD-Spitzenkandidat, im Thüringer Landtag.

Foto: dpa/Bodo Schackow

Die Prognosen und Hochrechnungen von Sonntagabend halten die CDU in Sachsen in einer Zitterpartie gefangen: Sie hat ihre Mehrheit bei den Landtagswahlen wahrscheinlich verteidigt, je nach Berechnung aber nur mit hauchdünnem Vorsprung vor der AfD. In Thüringen kam es zum erwarteten Triumph der AfD, sie wurde mit großem Abstand vor der CDU stärkste Kraft.

Desaströs waren die Landtagswahlen für die Parteien der Bundesregierung: SPD, Grüne und FDP. Die Kanzlerpartei SPD erlitt bei ohnehin überschaubaren Zustimmungswerten leichte Verluste. Die Grünen sollten es den Hochrechnungen nach nicht mehr in Thüringens Landtag schaffen, auch in Sachsen kratzen sie an der Fünf-Prozent-Hürde. Die FDP fliegt mit marginalen Zustimmungswerten auch noch aus dem Thüringer Parlament.

Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat wie erwartet eine neue Kraft die politische Bühne betreten, an der in den beiden kleinen Bundesländern nun niemand mehr so einfach vorbeikommt, wenn es um Machtoptionen geht. Aus dem Stand kam das BSW in beiden Ländern auf zweistellige Ergebnisse und jeweils auf einen dritten Platz.

Der Ausgang dieser Wahlen hat weitreichende Bedeutung, ordnete der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker die ersten Erhebungen ein. Die AfD könnte in beiden Landtagen eine Sperrminorität erreichen. „Damit ist ein Worst Case eingetreten, das ist eine Zäsur“, befand Decker. Mit einer solchen Sperrminorität könne die Partei beispielsweise Verfassungsänderungen oder Richter­ernennungen verhindern.

Auch mit Blick auf NRW sind die Ergebnisse Deckers Meinung nach vielsagend. „Das BSW hat stärkere Resonanz in Ostdeutschland. Aber ich gehe davon aus, dass es sich bundesweit etablieren kann und die Linke verdrängen wird – auch in NRW sehe ich das BSW bei kommenden Wahlen deutlich über fünf Prozent“, erklärte er. Die AfD wiederum sei bundesweit im Aufwind und werde auch in NRW zulegen – „aber nicht in dieser Größenordnung“, prognostizierte der Politologe. „Es gibt speziell in NRW auch eine gewisse Immunisierung gegen Rechts­extremismus.“

Die AfD gilt in beiden ostdeutschen Bundesländern als gesichert rechtsextrem. In Thüringen hat somit nun zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt eine rechtsextreme Partei den Wahlsieg errungen. Der Spitzenkandidat Björn Höcke sagte am Sonntag: „Wir sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen.“ Es sei gute parlamentarische Tradition, dass die stärkste Kraft nach einer Wahl zu Gesprächen einlade. Man werde die Lage in der kommenden Woche in den Parteigremien analysieren. „Und dann werden wir darüber entscheiden, wem wir diese Gesprächsangebote unterbreiten.“

Bislang stehen weder in Thüringen noch in Sachsen Koalitionspartner für die AfD bereit, doch die Regierungsbildung dürften in beiden Ländern kompliziert werden. Das nehmen auch die politischen Akteure in Nordrhein-Westfalen zur Kenntnis. „Heute Abend blicken wir mit großer Sorge auf den Wahlausgang. Die rechtsextreme AfD und das populistische BSW haben Ergebnisse eingefahren, die alle demokratischen Parteien alarmieren sollten“, sagte Achim Post, Landesparteichef der NRW-SPD. „Wir hoffen, dass in beiden Bundesländern die Bildung einer stabilen Regierung durch die demokratischen Parteien möglich wird und dass die Brandmauer nach rechts steht.“

Mit Blick auf die Ergebnisse der SPD erklärte er, Thüringen und Sachsen seien seit der deutschen Einheit keine sozialdemokratischen Hochburgen gewesen. „Die vielen engagierten SPD-Mitglieder konnten im Wahlkampf nicht gerade auf Rückenwind aus Berlin zählen.“

Grünen-Chefin Yazgülü Zeybek befürchtete: „Wenn sich die demokratischen Parteien schon im Wahlkampf in ideologische Schützengräben begeben, wird es nach der Wahl nicht leichter, wieder zusammenzukommen.“ Der Landeschef der FDP, Henning Höne, steckte nach dem neuerlichen Misserfolg Ziele für die Liberalen. „Das Ergebnis zeigt deutlich, dass wir unsere Rolle als Anwalt für bürgerliche Freiheit, exzellente Bildung und eine dynamische Marktwirtschaft noch stärker hervorheben müssen“, sagte er. Das wirksamste Mittel gegen radikale Extreme sei eine Politik, die die Sorgen und Nöte der Bürger ernst nehme und endlich tragfähige Antworten liefere. „Deutschland braucht einen echten Politikwechsel mit klaren Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit: Wirtschaftswachstum, einen funktionierenden Staat und eine kontrollierte Migration.“

In Thüringen wird die rot-rot-grüne Minderheitsregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) abgelöst. In Sachsen hatte Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) in den vergangenen Jahren eine Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen geführt. Sonntagabend sprach er über die Versäumnisse der Bundespolitik: „Hier muss ein anderer Politikstil in diesem Land in Berlin einziehen, ansonsten ist das wirklich gefährdend für die Demokratie in Deutschland“, sagte er in der ARD.

Der Einfluss der Bundespolitik sei bei diesen Landtagswahlen in der Tat deutlich stärker gewesen als sonst üblich, befand der Politologe Frank Decker: „Mit Fragen von Krieg und Frieden, der Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung und Migrationsfragen.“