Analyse AfD: Sammelbecken der Unzufriedenen

Bei der AfD mischen sich marktliberale, rechtspopulistische und national-konservative Positionen. Ein Einzug in das Europaparlament am 25. Mai ist den Euro-Kritikern rund um Bernd Lucke so gut wie sicher.

Parteitag März 2014: AfD-Basis lässt Bernd Lucke auflaufen
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Parteitag März 2014: AfD-Basis lässt Bernd Lucke auflaufen

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Im Englischen gibt es das geflügelte Wort vom "grumpy old man". Wörtlich übersetzt meint dies einen grantigen alten Mann. Gemeint ist aber mehr — und zwar der Typus des älteren Herrn, dem es selbst wirtschaftlich gut geht, der aber dennoch an Verlustängsten und an der sich schnell wandelnden Welt um ihn herum leidet. Nur um den Begriff noch ein bisschen besser zu erklären: Auf die beiden Opas in der Muppet-Show, die aus der Loge über alles und jeden schimpfen, trifft die Eigenschaft auch zu.

Die Gründer der Alternative für Deutschland (AfD) werden gelegentlich mit eben diesem Typ des "grumpy old man" verglichen. Für eine Annäherung an die Frage, was die AfD und ihren aktuellen Erfolg ausmacht, ist das Bild durchaus tauglich. Auch wenn es ein paar jüngere Vorzeige-Frauen gibt, dominieren ältere Professoren und Publizisten diese Partei. Allerdings wird man dem Phänomen der AfD, der in jüngsten Umfragen 7,5 Prozent bei den Europa-Wahlen vorhergesagt werden, mit dem Verweis auf "grumpy" keineswegs vollständig gerecht. Dafür hat die Partei politisch schon zu viel Gewicht gewonnen, als dass man sie nicht ernst nehmen sollte. In der AfD mischen sich marktliberale, rechtspopulistische und national-konservative Positionen.

An der Spitze der Partei steht mit Bernd Lucke ein mit 51 Jahren noch gar nicht so alter Ökonomie-Professor, bei dem sich verbale Entgleisungen und eine Distanzierung vom Rechtspopulismus abwechseln. Lucke ist die Stimme der AfD, auch wenn ihm sein Versuch beim Parteitag in Erfurt misslungen ist, die innerparteiliche Macht auf sich zu konzentrieren.

Erst am Freitag hatten die Delegierten ein brisantes Papier ihres Parteisprechers erhalten. Damit wollte er etliche Änderungen an der AfD-Satzung beschließen lassen. Die Zahl der Parteisprecher wäre von drei auf einen, eben Bernd Lucke, reduziert worden. Zudem plante die Parteispitze, dass sie mit gestärkter Autorität schneller und effizienter bei regionalen, innerparteilichen Konflikten hätte eingreifen können. Stundenlang kam es am Samstag zu einer kontroversen Debatte, bis Lucke seine Vorschläge zurückzog. Satzung und Leitlinie sollen nun auf einem Sonderparteitag im Herbst erneut diskutiert werden.

Mit diesem Versuch, die Partei autokratischer auszurichten, hat Lucke in jedem Fall eine Frau verloren, die als Beleg dafür galt, dass die AfD auch klassische liberale Positionen vertritt. Die Münchner Unternehmerin Dagmar Metzger zog sich von ihrer Position als Pressesprecherin zurück. Der Schritt ist auch als Resignation gegenüber dem national-konservativen Flügel der Partei zu verstehen.

Außer Lucke gehört Hans-Olaf Henkel zu den dominanten Figuren der AfD. Während der Gründungsphase der Euro-Kritiker blieb der frühere BDI-Präsident zunächst nur Sympathisant, trat ihr aber später bei. Er ist hinter Lucke der zweite auf der Liste für die Europawahl. Nach seiner Zeit als BDI-Präsident war Henkel beratend und publizistisch tätig. Er ist einem breiteren Publikum bekannt, weil er häufig in Talkshows streng marktliberale Positionen vertrat. In den letzten Jahren ist es etwas stiller um ihn geworden.

Auf dem dritten Platz der Europaliste steht mit Bernd Kölmel ein Mann, der wie Lucke frustriert aus der CDU ausgetreten ist, weil er in der Euro-Politik eine grundlegend andere Position hat. Die einzige Frau unter den ersten vier AfD-Kandidaten ist die umstrittene Berlinerin Beatrix von Storch. Immer wieder wird ihr vorgeworfen, dass mit ihr ein Hauch von Tea-Party in die AfD eingezogen sei. In den USA ist die Tea-Party eine konservativ-populistische Bewegung mit teils christlich-fundamentalistischen Position. Storch gilt als Galionsfigur der national-konservativen Szene in Deutschland. Gemeinsam mit ihrem Ehemann lenkt sie eine Reihe von Vereinen und Initiativen, die sich unter anderem für eine andere Euro-Politik, eine traditionelle Familienpolitik und Anliegen des Adels in Deutschland stark machen. Immer wieder wird ihr auch der Vorwurf gemacht, sie sei fremden- und schwulenfeindlich.

Dass selbst das AfD-Führungspersonal manchmal nicht den Überblick hat, was die eigenen Leute fordern und vertreten, zeigte jüngst ein denkwürdiger Auftritt von Frauke Petry in der Sendung "Anne Will". Konfrontiert mit einem Satz aus dem Entwurf des Europa-Wahlprogramms, der die EU-Freizügigkeit in Frage stellt, behauptete die AfD-Frontfrau zunächst, der Satz stünde so nicht im Programm. Später verstieg sie sich darauf zu erklären, er sei ja noch nicht beschlossen.

An diesem Wochenende verabschiedete die AfD ihr Europawahlprogramm. Darin fordert die Partei einen Austritt nicht wettbewerbsfähiger Länder aus dem Euro, die Ablehnung der Idee der Vereinigten Staaten von Europa und mehr Gewicht für Deutschland. Die AfD lehnt auch ein Freihandelsabkommen mit den USA ab. Zudem beschlossen die Delegierten eine Resolution, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, keine Sanktionen gegen Russland zu unterstützen und sich aus dem Konflikt der Krim-Krise herauszuhalten. Vize-Parteisprecher Peter Gauland hatte zuvor in einer Rede das Vorgehen Putins auf der Krim verteidigt.

Die Chancen der AfD, am 25. Mai ins Europa-Parlament einzuziehen, sind sehr gut — auch weil das Bundesverfassungsgericht die Drei-Prozent-Hürde für ungültig erklärt hat. Sechs bis acht Abgeordnete könnten die Euro-Kritiker stellen. Aus Sicht des Parteisprechers Lucke sollte die AfD im Straßburger Europaparlament ihre politische Heimat bei der kleinen Fraktion EKR (Europäische Konservative und Reformisten) finden. Sie stehen rechts der EVP, zu der die CDU gehört, und werden von den britischen Tories geführt. Ob es zu einer Einigung kommt, ist offen.

(qua)
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