Nach Thüringen AfD beeinflusst Präsidentenwahl

Berlin · Analyse Der Erfurter Abstimmungstrick hat Folgen für die Strategien in der Bundesversammlung. Das könnte eine Wiederwahl Steinmeiers begünstigen

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Das Verhalten der AfD bei der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen hat den Strategen der anderen Parteien in Berlin eine neue Aufgabe gegeben. Sie waren es bislang gewohnt, einzelne Wahlgänge anhand der Stärke der hinter den einzelnen Kandidaten stehenden Parteien durchzudenken. Nun müssen sie anders rechnen lernen. Das gilt vor allem für die Wahl des Bundespräsidenten.

Anders als der Parlamentspräsident und der Bundeskanzler wird das Staatsoberhaupt nicht vom Bundestag sondern von einer eigens zu diesem Zweck einberufenen Bundesversammlung gewählt. Sie setzt sich zusammen aus allen Bundestagsabgeordneten und einer gleich großen Zahl weiterer Mitglieder, die von den 16 Landesparlamenten anhand der Bevölkerungszahl und der jeweiligen Stärken der Landtagsfraktionen bestimmt werden.

Wäre jetzt ein neuer Bundespräsident zu wählen, hätte die Bundesversammlung 1418 Mitglieder (die doppelte Größe des 709 Abgeordnete zählenden Bundestages). Um im ersten Wahlgang zum Staatsoberhaupt gewählt zu werden, bräuchte ein Kandidat derzeit 710 Stimmen. Nach einer überschlägigen Rechnung auf der Grundlage der aktuellen Bundestags- und Landtagsfraktionen könnten das Union und SPD (zusammen 798), und Jamaika aus Union, FDP und Grünen (zusammen 749) gestemmt kriegen. Union und FDP (592) oder Rot-Rot-Grün (615), könnten sich nach altem Denken mit der Frage beschäftigen, ob ihr Kandidat vielleicht im dritten Wahlgang mit der einfachen Mehrheit das Rennen macht.

Doch sie laufen nun Gefahr, dass die AfD wieder nur zum Schein einen eigenen Kandidaten aufstellt, um sich dann hinter einem anderen in geheimer Wahl zu versammeln. So kämen sowohl die Stimmen von Union, FDP und AfD (778) als auch von SPD, Grünen, Linken und AfD (801) auf die erforderliche Mehrheit.

Doch es wird jetzt noch nicht gewählt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sein Amt am 19. März 2017 angetreten. Turnusgemäß tritt somit die nächste Bundesversammlung im Januar oder Februar 2022 zusammen. Bis dahin folgen noch sechs Landtagswahlen und die Bundestagswahlen. Wer die derzeit absehbaren neuen Kräfteverhältnisse nach den aktuellen Sonntagsfragen auswertet, erhält bei vier dieser Wahlen einen gemeinsamen Trend: Union und SPD schrumpfen, Grüne und AfD vergrößern sich. Aber die absehbaren zusätzlichen Mandate für die Grüne können vermutlich die sich abzeichnenden Mandatsverluste bei Union und SPD nicht ausgleichen. Unterm Strich dürfte somit der Vorsprung des bürgerlichen Lagers zusammenschmelzen, der Anteil der AfD zunehmen.

Damit wächst die Gefahr, dass selbst die Wahl des nächsten Staatsoberhauptes genauso „kontaminiert“ werden könnte wie die Wahl von Thomas Kemmerich zum Regierungschef in Erfurt. Erste Überlegungen gehen nun dahin, sich in einem breiten Bündnis frühzeitig auf eine Wiederwahl von Steinmeier zu verständigen, wie dies FDP-Vize Wolfgang Kubicki bereits im Herbst anregte.

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