Grüne und Konzerne gegen Merkel Ärger statt Atomkonsens

Düsseldorf (RPO). Die Regierung gerät mit ihren Plänen für den Atomausstieg in Turbulenzen. Die Opposition stellt harte Bedingungen für ihre Zustimmung, die Atomkonzerne wollen vor Gericht. Selbst die bislang versöhnlich gestimmte SPD wird störrisch. Schon sieht ein Ministerpräsident nur noch "geringe Chancen für einen parteiübergreifenden Konsens."

Atomausstieg: Presse warnt vor der Rechnung
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Foto: dapd

Die Regierung Merkel strebt einen breiten Konsens für den Atomausstieg bis zum Jahr 2022 an. Sie will so die tiefe gesellschaftliche Kluft überwinden, die der Streit über den Umgang mit der Atomkraft über Jahrzehnte hinweg quer durch die Gesellschaft gerissen hat.

Doch zwei Tage nach dem Beschluss staut sich der Ärger. Und zwar gleich von mehreren Seiten.

Die Grünen verlangen Nachbesserungen Aus taktischer Sicht sollte der Atomausstieg auch die Möglichkeit für schwarz-grüne Bündnisse eröffnen. Doch das Kalkül von Merkel und ihres Umweltministers Norbert Röttgen könnte an den Grünen scheitern. Die tun sich ausgesprochen schwer und verlangen signifikante Nachbesserungen.

Jürgen Trittin wirft Merkel vor, mit ihrem Plan zur Abschaltung des letzten Akw Ende 2022 "den Ausstieg unnötig in die Länge" zu ziehen. Seiner Ansicht nach beinhaltet der Koalitionskompromiss zudem die Gefahr einer Verschiebung des Ausstiegs: Bedenklich sei, dass neun Akw 2021 und 2022 "abrupt vom Netz gehen" sollen. Womöglich werde dann mit Verweis auf die Versorgungssicherheit der Ausstieg weiter verzögert. Parteichefin Claudia Roth verlangt einen realistischen Abschaltplan für jedes einzelne Atomkraftwerk. Und einen gesellschaftlichen Konsens vermag sie zu diesem Zeitpunkt sowieso noch nicht zu erkennen.

Die SPD macht Einwände Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier betont am Dienstag im Radiosender NDR Info, die SPD könne einem Ausstiegsdatum 2021 und 2022 möglicherweise zustimmen. Grundsätzliche Fragen gebe es dagegen unter anderem zu den geplanten Gesetzesänderungen beim Netzausbau und der Förderung erneuerbarer Energien. Der Novelle zu letzterem Gesetz wird die SPD-Fraktion nach Angaben ihres Vizechefs Ulrich Kelber in der "taz" nicht zustimmen.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) sieht bereits nur noch geringe Chancen für einen parteiübergreifenden Konsens. "Ich will jetzt noch nicht Nein sagen", sagte Beck der "Stuttgarter Zeitung" vom Mittwoch. Er sei aber "sehr skeptisch", ob die SPD-geführten Länder das Konzept der Bundesregierung mittragen könnten. "Angesichts der Debatten über Kaltreserven, Sicherheitspuffer und eine Überprüfungsklausel bis 2018 haben wir die Sorge, dass hier heimlich eine Art Revisionsklausel eingebaut wurde", sagte Beck. Das Ausstiegsdatum müsse aber genau feststehen, "sonst entstehen wieder Zweifel und Unsicherheiten."

Die Energiekonzerne klagen RWE behielt sich schon seit Wochen vor, gerichtlich gegen die Bundesregierung vorzugehen. Am Dienstagabend kündigte jedoch zunächst Energieriese Eon Klage an, Klage einzureichen. Ihm geht es um die Kernbrennstoffsteuer, die die Bundesregierung beibehalten will. Müsste die Regierung die Steuer aufgeben, würden knapp 1,3 Milliarden Euro pro Jahr bis 2016 im Haushalt fehlen.

Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sieht der Klage aber gelassen entgegen. "Die Gesetzesbegründung zur Brennstoffsteuer bezieht sich ausdrücklich nicht auf das Thema Laufzeitverlängerung", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Mittwoch.

Eon verlangte zudem Ausgleich für Vermögensschaden durch den vorgezogenen Atomausstieg, den der Vorstandsvorsitzende Johannes Teyssen in der "FAZ" mit einem zweistelligen Milliardenbetrag bezifferte. Hier setze der Konzern zunächst aber auf Gespräche.

RWE-Chef Jürgen Großmann wirft der Bundesregierung Unberechenbarkeit vor. "Die Frage nach der Berechenbarkeit muss man bei dieser Bundesregierung nicht nur in Energiethemen stellen", sagte Großmann der "Bild"-Zeitung vom Mittwoch. "Andere Länder beweisen, dass man dieses Thema ruhiger und sachlicher behandeln kann." Großmann kritisierte, offenbar wolle man in Deutschland eine Energiezukunft ohne die international agierenden Energiekonzerne. "Wir machen Experimente mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft - mit ungewissem Ausgang", mahnte er.

Zweifler in den eigenen Reihen Zumindest Verwunderung löste am Dienstag der Hinweis eines Unionsvertreters aus der zweiten Reihe aus. Der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Siegfried Kauder, sagte "Zeit Online", es sei "unrealistisch", die Gesetze noch vor der Sommerpause zu verabschieden.

Union und FDP hatten das Konzept zum Atomausstieg in der Nacht zu Montag beschlossen. Es sieht die sofortige Stilllegung von sieben Altmeilern und des Pannenreaktors Krümmel sowie die Abschaltung der übrigen neun Akw bis spätestens Ende 2022 vor. Laut dem Entwurf für die Novelle des Atomgesetzes ist zudem geplant, dass eines der eigentlich nun stillzulegenden Atomkraftwerke bis März 2013 in einer Art Stand-By-Betrieb für Fälle von Stromknappheit bereit stehen soll.

(RTR/AFP/dapd)
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