Bitkom-Präsident Achim Berg im Interview "Ein Digitalministerium macht keinen Sinn"

München · Der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Achim Berg, spricht im Interview über die Folgen der Digitalisierung und warum ein bedingungsloses Grundeinkommen getestet werden sollte.

 Achim Berg, Präsident des Digitalverbandes Bitkom.

Achim Berg, Präsident des Digitalverbandes Bitkom.

Foto: imago/ Reiner Zensen

Achim Berg ist an diesem Tag in München unterwegs, kurz darauf fliegt er nach New York. Der Chef des IT-Branchenverbands Bitkom, der einst das Deutschlandgeschäft von Microsoft verantwortete, findet zwischen zwei Terminen Zeit für ein Telefonat. Er erweist sich als ein Gesprächspartner, der keine Scheu vor streitbaren Aussagen hat.

Herr Berg, freuen Sie sich eigentlich über das Wahlergebnis, das uns wohl eine Jamaika-Koalition beschert?

Berg Das Ergebnis zeigt, dass es trotz sensationell starker Konjunktur und einem Trend Richtung Vollbeschäftigung den Wunsch nach Veränderung in unserem Land gibt - und einen manchmal sehr diffusen Protest. Ein simples "Weiter so" ist nicht möglich. Und das werte ich für Deutschland und die weitere Entwicklung des Landes als positiv.

Sind Sie für ein Digitalministerium?

Berg Ich finde den Vorschlag eines starken Staatsministers für Digitales im Kanzleramt deutlich charmanter. Ein Ministerium wäre extrem aufgebläht und würde viele Ressorts entkernen. Das macht keinen Sinn.

Welche digitalpolitischen Fallstricke lauern in den Jamaika-Gesprächen?

Berg In den Wahlprogrammen aller Parteien ist das Wort Digitalisierung so häufig präsent wie nie zuvor. Allerdings versteht jeder etwas anderes darunter. Die FDP setzt Schwerpunkte bei digitaler Bildung und der Digitalisierung der Wirtschaft, die Grünen bei Umwelt- und Verbraucherschutz. Ich habe die Sorge, dass die Jamaika-Verhandler vor lauter Klein-Klein die wesentlichen Fragen aus dem Blick verlieren könnten.

Was sind denn aus Ihrer Sicht die vier wichtigsten Vorhaben für Jamaika?

Berg Die Digitalisierung der Bildung steht für mich an erster Stelle. Zweitens muss sich in der Arbeitswelt viel tun. Wir stehen in der Wirtschaft vor gigantischen Umbrüchen. Drittens brauchen wir nicht nur eine flächendeckende Breitbandversorgung, sondern einen Ausbau hin zu intelligenten Netzen etwa für automatisiertes Fahren. Und viertens die Digitalisierung unseres Gesundheitswesens.

Machen wir es konkret: Was stört Sie in der Bildung?

Berg Der Umgang mit digitalen Medien und eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung damit werden in deutschen Schulen überhaupt nicht gelehrt. Wir brauchen dringend das Schulfach Programmieren. Es kann nicht sein, dass im 21. Jahrhundert junge Erwachsene nichts von einfachen Programmen verstehen. Digitale Medien müssen in allen Fächern eingesetzt werden, um Unterricht besser und individueller zu machen. Dazu muss das unsinnige Kooperationsverbot fallen, damit endlich dauerhafte Investitionen in die digitale Ausstattung der Schulen fließen können.

Wie viele Jobs werden durch die Digitalisierung bedroht sein?

Berg Alle Branchen sind davon betroffen, in fast allen Berufen machen sich die Veränderungen bemerkbar. Ich gehe davon aus, dass etwa die Hälfte aller Aufgaben in den nächsten 20 Jahren von Maschinen oder Computern erledigt werden können.

Das ist ein Horrorszenario.

Berg Es hilft nichts, die Augen davor zu verschließen. Die Digitalisierung führt zu einem historischen Wandel in der Arbeitswelt. Aber es werden nicht nur Jobs verschwinden, sondern auch neue und anspruchsvolle Jobs entstehen, die viel Gestaltungsspielraum bieten - und eine gute Ausbildung voraussetzen.

Aber das ist doch die entscheidende Frage: Was passiert mit den durch Maschinen ersetzten Beschäftigten?

Berg Ein großer Teil der Menschen wird diese neuen Tätigkeiten übernehmen können. Bislang hat noch jede Veränderung zu einer Stärkung des Standorts Deutschland geführt, und gerade in der Digitalisierung liegen einmalige Chancen für unser ressourcenarmes Land. Aber Sie haben recht: Die Digitalisierung wird nicht nur Gewinner haben. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen könnte man vielleicht diejenigen auffangen, die mit der Digitalisierung nicht zurechtkommen. Man sollte es testen.

Was ist sonst zu tun, um eine gesellschaftliche Spaltung zu verhindern?

Berg Die Spaltung ist bereits da. Das ist ein großes Problem. Schon heute fühlt sich jeder Vierte von der Digitalisierung abgehängt. Dieser Kreis von Menschen muss informiert und zurückgewonnen werden. Da ist die Bundesregierung ebenso gefragt wie die Gewerkschaften und natürlich auch die Unternehmen. Aber auch bei Managern sind Sorgen verbreitet. Jeder fünfte Unternehmer weiß nicht, wie er mit der Digitalisierung umgehen soll. Das ist erschreckend.

Gutes Zureden allein wird da kaum helfen, oder?

Berg Das stimmt. Was es braucht, ist Optimismus und den Fokus auf die großen Vorteile der Digitalisierung. Wie im Bereich E-Health, weil Medikamente individuell angepasst werden und Therapien sowie Operationen schonender und erfolgreicher verlaufen könnten. Mit Sensortechnik ist es etwa möglich, einen Schlaganfall vorherzusagen und rechtzeitig Vorsorge einzuleiten.

Im Wahlkampf wurde vor allem über den Breitbandausbau geredet. Dabei ist das doch eigentlich ein banales, mit Geld leicht lösbares Problem.

Berg So leicht ist das leider nicht. Obwohl wir in den vergangenen vier Jahren beim schnellen Internet deutlich weiter hätten kommen können. Ich halte gleichzeitig die Pläne der Parteien für sehr ambitioniert. Selbst wenn wir heute überall anfangen würden, Glasfaserkabel zu verlegen, würde es 20 Jahre dauern, bis auch das entlegenste Dorf angeschlossen ist. Wir dürfen uns also nicht nur auf Glasfaser konzentrieren. Mit dem neuen Mobilfunkstandard 5G wird überall eine sehr schnelle Datenübertragung möglich sein. Wenn die Bundesregierung das ordentlicher als bisher macht und die Regulierung investitionsfreundlich anpasst, können wir bis 2025 flächendeckend Gigabit-Breitband haben.

Das ist vor allem für Unternehmen wichtig, wenn sie ihre Geschäftsmodelle etwa mit künstlicher Intelligenz umbauen wollen.

Berg Künstliche Intelligenz ist neben Blockchain, Big Data und dem Internet of Things einer der Megatrends, die wir nicht unterschätzen dürfen. Das haben die Unternehmen aber auch verstanden. Ich bin dafür, dass künftig jeder zweite Euro öffentlicher Forschungsgelder für Digitales ausgegeben werden sollte. Wir brauchen jährlich eine Milliarde Euro allein für die Erforschung künstlicher Intelligenz.

In Deutschland floriert die Start-up-Szene. Was muss die Bundesregierung tun, um dort zu unterstützen?

Berg Die Szene wächst und Start-ups fühlen sich in Deutschland grundsätzlich wohl. Aber wir hinken beim Wagniskapital weit hinterher, wir müssen den Kapitalzugang gerade für schnell wachsende Start-ups verbessern. Und die großen Mittelständler sollten mutiger sein, Teile ihres Geschäftsmodells Start-ups zugänglich zu machen und ihre Hilfe bei der Digitalisierung in Anspruch zu nehmen. Wenn dabei mal 10.000 Euro geopfert werden, tut das keinem Marktführer weh. Für ein Start-up kann ein solches Projekt aber der Durchbruch sein. Das ist auch im Sinne des Kunden.

Mit Achim Berg sprach Jan Drebes.

(jd)
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