Entscheidung von Kanzlerin und Länderchefs Abschiebungsstopp für Afghanistan

Berlin/Duisburg · Als Konsequenz aus dem Terror-Anschlag in Kabul werden vorerst keine Afghanen in ihre Heimat abgeschoben. Zwei aktuelle Fälle sorgen für Kritik an der Abschiebepraxis der deutschen Behörden.

 Sicherheitskräfte in der Nähe der Deutschen Botschaft in Kabul, auf die ein Anschlag verübt worden war.

Sicherheitskräfte in der Nähe der Deutschen Botschaft in Kabul, auf die ein Anschlag verübt worden war.

Foto: ap, RG

"Als wir Bivsi R. erzählt haben, worum es geht, ist sie in Tränen ausgebrochen", sagte Ralf Buchthal, Schulleiter des Duisburger Steinbart-Gymnasiums unserer Redaktion. "Ihre Eltern hatten ihr offenbar nichts von der Abschiebung erzählt." Aus pädagogischer Sicht sei das Vorgehen der Behörde unverantwortlich. "Die Mitschüler sind traumatisiert. Eine ihrer Freundinnen musste von einem Krankenwagen abgeholt werden."

Bivsi R. ist in Deutschland geboren. Der Vater war Betreiber eines Sushi-Restaurants in Düsseldorf. Nach Angaben einer Sprecherin der Stadt Duisburg war die Aufenthaltserlaubnis der Familie bereits seit 2013 abgelaufen.

Berufsschüler bleibt Abschiebehaft erspart

Nach den tumultartigen Szenen bei der geplanten Abschiebung des afghanischen Flüchtlings in Nürnberg hat die Polizei ihr Vorgehen verteidigt: Neben zahlreichen Mitschülern hätten sich auch 50 Personen aus der linksextremen Szene den Beamten entgegengestellt. Die Polizei setzte daraufhin Pfefferspray und Hunde ein. Zudem berichtete der Nürnberger Polizeidirektor Hermann Guth, dass der 20-jährige Afghane, der bereits 2012 als Asylbewerber abgelehnt wurde und die Behörden systematisch über seine Identität getäuscht haben soll, den Beamten zurief: "Ich bin in einem Monat wieder da. Und dann bringe ich Deutsche um".

Abschiebehaft bleibt dem 20-Jährigen vorerst erspart. Das örtliche Amtsgericht lehnte einen entsprechenden Antrag ab. Die Ausländerbehörde prüft, dagegen vorzugehen. Der Berufsschüler verließ am Mittag freudestrahlend die Verhandlung. Vor dem Gebäude empfingen ihn 25 Schulkollegen und sein Klassenlehrer.

In Berlin einigten sich Kanzlerin Angela Merkel und die Regierungschefs der Länder, vorerst nur noch Kriminelle nach Afghanistan abzuschieben. Merkel erklärte, dies solle bis zu einer neuen Lagebeurteilung und der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Deutschen Botschaft nach dem Anschlag in Kabul gelten. Mit einer neuen Vorlage rechne sie bis zum Juli.

Die Bundesregierung hatte allerdings bereits am Mittwoch als Reaktion auf den Anschlag einen Abschiebeflug nach Afghanistan ausgesetzt. Dieser ist nun auf unbestimmte Zeit verschoben. Die freiwillige Rückkehr, die die Bundesregierung mit Programmen fördert, soll nach den Worten der Kanzlerin weiter laufen.

Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz forderte ein Moratorium für Abschiebungen nach Afghanistan. Er sprach sich dafür aus, die Sicherheitslage in dem Land zu überdenken. Schulz sagte, er wolle erst eine neue Lageeinschätzung aus dem Außenministerium abwarten.

Kipping: "Unchristlich und eine Schande"

Grüne und Linke verlangten, dass grundsätzlich keine Afghanen in ihre Heimatländer mehr zwangsweise zurückgeführt werden. Linken-Chefin Katja Kipping bezeichnete die Maßnahmen als "unchristlich und eine Schande für unser Land."

Der stellvertretende Ministerpräsident der Grünen in Schleswig Holstein, Robert Habeck, kritisierte: "Wir haben auch den Bund um eine Neubewertung der Lage in Afghanistan gebeten, was er geliefert hat, war hanebüchen."

(RP)
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