Ministerpräsidentenkonferenz Corona-Scherbengericht für die Ampel

Analyse | Berlin · Über Parteigrenzen hinweg rechnen Ministerpräsidenten mit dem neuen Infektionsschutzgesetz der Bundesregierung ab. NRW-Ministerpräsident Wüst macht Kanzler Scholz Vorwürfe, die heftigste Kritik muss Gesundheitsminister Lauterbach einstecken.

„Jetzt schalte ich nach Jerusalem“: Mit diesen Worten rief Bundeskanzler Olaf Scholz den aus der Corona-Isolation in Israel eingeblendeten NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst auf.

„Jetzt schalte ich nach Jerusalem“: Mit diesen Worten rief Bundeskanzler Olaf Scholz den aus der Corona-Isolation in Israel eingeblendeten NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst auf.

Foto: AP/Michael Sohn

Neben dem Kanzler ist ein riesiger Flachbildschirm aufgebaut. Zu sehen ist Hendrik Wüst, der in der Übertragung aus dem Nahen Osten ein bisschen gelbstichig wirkt, was seinen Düsseldorfer Koalitionspartner FDP sicher freuen dürfte. Wüst wurde bekanntlich während eines Israel-Besuchs von einer Corona-Infektion erwischt. Deshalb nimmt der NRW-Ministerpräsident per Videoschalte aus seiner Isolation im weltbekannten „King David“-Hotel in Jerusalem an der Bund-Länder-Schalte mit dem Kanzler zu Corona, Ukraine-Krieg und Energiepreisen teil. Olaf Scholz frotzelt ein wenig: „Er wird festgehalten, weil ihn eine Corona-Infektion erreicht hat, die ihm offensichtlich nicht sehr zusetzt.“ Dann wünscht Scholz gute Besserung und schnelle Genesung. Das waren die mit Abstand freundlichsten Worte, die zwischen Kanzler und Länderchefs an diesem Donnerstag ausgetauscht wurden. Teilnehmer berichteten, noch nie seit Ausbruch der Pandemie vor mehr als zwei Jahren habe es so ein heftiges Scherbengericht zum Vorgehen der Bundesregierung gegeben. Von „brutaler parteiübergreifender Kritik“ am Corona-Kurs und dem Infektionsschutzgesetz sowohl im Verfahren als auch in der Sache war die Rede. Und das will etwas heißen, schließlich fetzte sich auch Angela Merkel immer wieder mit den Ländern.

Das passierte im Corona-Teil: Eindrucksvoll sind allein die aus der Videoschalte übermittelten Zitate wichtiger Player. Thüringens linker Ministerpräsident Bodo  Ramelow meinte: „Zwei Jahre haben Bund und Ländern gemeinsam erfolgreich gearbeitet - jetzt steigt der Bund aus.“ Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kanzelte einen aus seiner Sicht lückenhaften Basisschutz der Ampel ab Anfang April ab: „Ich halte das nicht für vertretbar.“ Der Stuttgarter Landesvater Winfried Kretschmann von den Grünen wetterte: „Einen solchen Umgang mit den Ländern hat es noch nie gegeben.“ Es gebe keine rationalen Gründe, „warum es zu diesem Bruch von Seiten des Bundes kommt“. Hessens MP Volker Bouffier (CDU) knöpfte sich Scholz‘ zuletzt Corona erkrankten Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt vor: „Das Verfahren ist schlicht unsäglich.“ Ähnlich sah es CSU-Chef Markus Söder. Er suchte sich den Gesundheitsminister als Zielscheibe aus: „Herr Lauterbach: Sie warnen, warnen, warnen - und geben jetzt alles auf.“  Der SPD-Experte verliere vollständig seine Glaubwürdigkeit, weil er wider besseren Wissens den schlampigen Corona-Kurs der FDP mittrage. Und auch aus Jerusalem kam heftige Kritik. Wüst hielt Scholz vor, die Ampel trage die Verantwortung dafür, dass den Ländern schnelle Werkzeuge gegen die Pandemie mit täglichen Rekordinfektionszahlen genommen würden (wie Maske in Innenräumen). Als viel zu träge und kompliziert empfinden die Länder die Vorgabe aus Berlin, per Landtagsbeschluss strengere Corona-Schutzregeln bei Ausbrüchen in Hotspots zu verhängen.

Scholz sagte viel zu viele Bürger, die nicht geimpft seien, würden weiter an und mit Covid sterben. Deshalb halte er eine allgemeine Impfpflicht unverändert für richtig und notwendig. Die gute Nachricht sei, dass die Lage in den Kliniken nicht so dramatisch wie in früheren Wellen sei. So könnten die allermeisten Corona-Regeln abgeschafft werden, es blieben Maske in Bus und Bahnen, in Kliniken und Pflegeheimen. Er gab zu, dass die Länder „ganz klar sich da noch mehr wünschen“. Scholz bedankte sich für die „sehr konstruktive Diskussion“ - so kann ein Kanzler auch umschreiben, wenn seiner Regierung so richtig der Kopf gewaschen wurde.

So lief der Ukraine-Teil ab: Scholz gab bekannt, dass Bund und Länder in einer Arbeitsgruppe bis zum nächsten Spitzentreffen am 7. April die Lastenteilung bei erwarteten Milliardenkosten für die Unterbringung und Integration Hunderttausender Ukraine-Flüchtlinge klären werden. Viele der Geflüchteten könnten auch dauerhaft in Deutschland bleiben. Man dürfe nicht den Fehler von 2015 wiederholen,  zu denken, „das ist nur vorbeigehend“. Die Menschen bräuchten Integrationsperspektiven am Arbeitsmarkt, in Schulen und Kitas. Dinge dürften sich nicht im Unklaren verfestigen. Gut sei, dass die Ukraine-Flüchtlinge sofort arbeiten und die Kinder zur Schule gehen könnten. Die Bevölkerung zeige eine „überwältigende Kultur der Hilfsbereitschaft und der Solidarität“. Wüst setzte noch eine kleine Spitze gegen Scholz. Die Union kreidet dem Kanzler an, am Morgen im Bundestag nicht unmittelbar auf die bewegende Rede des per Video aus Kiew zugeschalteten ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi geantwortet zu haben, der Scholz und Deutschland schwere Vorhaltungen gemacht hatte. Berlin sei blind für Putins Aggression gewesen. Wüste sagte, nicht nur Selenskyi sollte eine Antwort erhalten, sondern auch der Aggressor Putin eine entschlossene von Bund und Ländern. Scholz betonte dann auf Nachfrage noch einmal, wie sehr ihn die Rede Selenskyjs bewegt habe. Russlands Präsident Wladimir Putin habe sich mit seiner Aussage geirrt, es gebe keine ukrainische Nation: „Das war immer falsch.“

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