Zeitgleich mit der Bundestagswahl Neue Farben für Berlin

Berlin · Rot-Grün-Rot regiert im Roten Rathaus von Berlin. Am selben Tag, an dem ein solches Bündnis auf Bundesebene möglich werden könnte, wird auch das Berliner Landesparlament neu gewählt. Doch hier stehen im Wahlkampf die Zeichen auf Wechsel.

 Franziska Giffey, die Berliner SPD-Spitzenkandidatin, bei einem Wahlkampfauftritt im August in Mitte.

Franziska Giffey, die Berliner SPD-Spitzenkandidatin, bei einem Wahlkampfauftritt im August in Mitte.

Foto: dpa/Britta Pedersen

Die Bratwürste brutzeln auf dem Grill am Lessingplatz im Süden Berlins. Vier Dutzend Anwohner sind zum Stand der CDU gekommen. Hier in Lichtenrade ist sie kein Fremdkörper. Hier liegen die Villen und Einfamilienhäuschen. Hier hat die CDU bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen satte 13 Prozentpunkte vor der SPD abgeschnitten. Und hier steigt nun Kai Wegner (49) aus dem Auto, um Wahlkampf zu machen. Die Leute klatschen, als sie ihn sehen. Eine Frau ruft „unser künftiger Regierender Bürgermeister“.

Wegner strahlt und bückt sich erst einmal, um Kira zu streicheln. Die Yorkshire-Dame wedelt aufgeregt mit dem Schwanz. Offenbar hat der CDU-Spitzenkandidat wieder einen Fan mehr. „Ich spüre es überall“, sagt Wegner, „es gibt überall eine große Sehnsucht, dass diese Stadt besser regiert wird“. 20 lange Jahre ist Deutschlands Hauptstadt nun von SPD-Politikern regiert worden. Noch im Frühsommer lag die Union vor der SPD und knapp hinter den Grünen. Doch anderthalb Wochen vor der Entscheidung über Landesparlament (“Abgeordnetenhaus“) und Landesregierung (“Senat“) in Berlin, hat der Scholz-Effekt auch hier durchgeschlagen. Die lange abgeschlagene SPD-Spitzenkandidatin, Ex-Familienministerin Franziska Giffey, geht nun trotz Plagiatsaffäre als klare Favoritin in die Zielgerade.

Trotzdem ist Wegner entspannt und ziemlich zuversichtlich, die Stadt mitgestalten zu können. Denn Giffey soll bereits mit CDU und FDP Kontakt haben, um mit ihnen das Bündnis aus SPD, Grünen und Linken abzulösen. Wird eine rot-grün-rote Koalition auf Landesebene ausgerechnet an dem Sonntag beendet, an dem die Chance besteht, dass sie auf Bundesebene zustande kommt? Keiner spekuliert darüber öffentlich. Auch Wegner nicht. Er war bei der krachenden Niederlage der CDU vor fünf Jahren Generalsekretär, hatte unter der neuen Vorsitzenden Monika Grütters in der ersten Reihe zunächst nichts mehr verloren, hat die mit ihrem Hauptjob als Kulturstaatsministerin im Kanzleramt stark beschäftigte CDU-Hoffnungsträgerin dann aber doch beiseite gedrängt und will die Christdemokraten nun wieder in die Regierung führen.

Es sei ein „Wahnsinn“, was Rot-Grün-Rot alles schludern lasse, sagt Wegner, verweist auf 26.000 fehlende Kita-Plätze und darauf, dass „Berlin dreckiger geworden“ sei. Für den Aufstand der Linksextremisten in der Rigaer Straße hat er kein Verständnis und kehrt den entschlossenen Sheriff hervor. Kompromisslos will er gegen Clan-Kriminalität vorgehen. Zugleich achtet er darauf, nicht die alten CDU-Antworten von vor 20 Jahren zu geben. Er setzt nicht alleine aufs Auto, sondern spricht davon, wie wichtig es ist, die Radwege sicherer zu machen. Anders jedoch als die Grünen, die einen „Kulturkampf gegen das Auto“ führten und sich aus seiner Sicht nicht um einen Regierungsauftrag, sondern um einen „Erziehungsauftrag“ bewerben würden.

Zehn Kilometer weiter östlich, bereitet sich Franziska Giffey (43) in Rudow gerade auf eine Podiumsdiskussion mit anderen örtlichen Direktbewerbern vor. „Rechtsterror in Neukölln - was tun?“, lautet die Frage. Und das Publikum kennt, wie die einladende Initiative in einer langen Einleitung darlegt, längst die Antwort. Die AfD ist nicht eingeladen, die FDP hatte keine Zeit, und auch von Giffey kommen in dieser links-antifaschistisch angehauchten Stimmung ungewöhnliche Töne. Da lobt sie doch glatt den CSU-Innenminister Horst Seehofer, mit dem sie zusammen im Anti-Rechtsextremismus-Ausschuss der Bundesregierung gewesen sei und der sich eindeutig positioniert habe. Und anders als Linke und Grüne nimmt sie auch die Polizei vor Verallgemeinerungen in Schutz. Da gebe es 45 Disziplinarverfahren unter „25.000 Kolleginnen und Kollegen in der Berliner Polizei“, sagt Giffey.

Sie ist hier in Neukölln nicht die von der Bundesebene auf die Landesebene abgestiegene SPD-Prominente, die ihre Zukunft hinter sich hat. Sie ist die als Neuköllner Bürgermeisterin schon beliebte Politikerin, die sich nun anschickt, ganz an die Spitze aufzusteigen. Der Noch-Regierende Michael Müller will dagegen in den Bundestag und hinterlässt Giffey eine zuletzt wenig harmonische Koalition. Der zeitgleich mit Bundestags- und Abgeordnetenhauswahlen anstehende Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungsgesellschaften hat auch die Senatsparteien gespalten. Die Linke ist rückhaltlos dafür, auch die Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch unterstützt die Initiative. Giffey positioniert sich leidenschaftlich dagegen.

Rund 30 Milliarden Euro müssten an Entschädigung gezahlt werden, und als Ergebnis würde keine einzige neue Wohnung entstehen, schimpft Giffey. Von CDU und FDP gibt es fast wortgleiche Reaktionen.  An diesem Punkt dürften Koalitionsverhandlungen mit diesen neuen Partnern schon nach wenigen Minuten abgehakt sein. Schnittmengen gibt es jedoch auch an etlichen anderen Stellen. Ins SPD-Wahlprogramm hat Giffey trotz der traditionellen Linksausrichtung der Hauptstadt-Sozialdemokratie das Eintreten für Sicherheit, Sauberkeit und Autoverkehr hineinbekommen. Giffeys Misstrauen gegenüber den bisherigen Partnern bezieht sich bei den Linken auf den Enteignungskurs und bei den Grünen auf die Mutmaßung, dass sie die City-Maut und andere Schikanen für Autofahrer durchsetzen wollen. An den viel zu vielen einschlägig bekannten und gefürchteten Straßen hat die AfD plakatiert: „Diesen Stau können Sie abwählen.“ Giffey spürt, welche Stimmung sich hier entwickelt. Und wie auch SPD-Stammwähler dazu stehen.

Die Diskussion in Rudow dreht sich lange um die Frage, ob die Anschlagserie aus dem rechtsextremistischen Milieu gegen einen Buchhändler von einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden soll. Giffey sagt das nachhaltig zu - und bekommt deshalb bald die Frage gestellt, wie glaubwürdig das sei, wenn ein Vögelchen gleichzeitig gezwitschert habe, dass sie mit der CDU eine Regierung bilden wolle, diese aber gegen einen Untersuchungsausschuss sei. „Hören Sie nicht auf jedes Vögelchen“, rät Giffey. Es gebe von ihr an keiner Stelle eine Koalitionsaussage oder Absichtserklärung. Die kämen erst nach den Wahlen und ersten Sondierungen.

Mit am Tisch sitzt auch Linken-Innenexperte Niklas Schrader. Er skizziert die Vorhaben seiner Partei - und endet mit dem Zusatz: „Wir werden das auch in der Opposition weiter betreiben.“ Offenbar hat er auch ein Vögelchen zwitschern gehört.

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