Gedenken am 9. November Steinmeier wirbt für Patriotismus und Schwarz-Rot-Gold

Berlin · Der 9. November ist der „Schicksalstag“ der Deutschen, und ein Bundespräsident kann diesen Tag nicht anders als mit einer sehr grundsätzlichen Rede würdigen.

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede im Deutschen Bundestag.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede im Deutschen Bundestag.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Am Freitag im Bundestag wirbt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dafür, der Novemberrevolution von 1918 endlich den Platz zu geben, der dem Ereignis gebührt. Der 9. November 1918, als Philipp Scheidemann vom Berliner Reichstagsgebäude aus die Republik ausrief, sei ein historischer „Meilenstein“, aber leider immer noch „ein Stiefkind unserer Demokratiegeschichte.“

Das muss sich ändern, sagt Steinmeier, und plädiert für einen „demokratischen Patriotismus“ in Deutschland. Die Katastrophe zweier Weltkriege und der Holocaust seien unverrückbarer Teil der deutschen Identität. Zugleich sollte aber auch an die Wurzeln von Demokratie- und Freiheitsstreben erinnert werden, für die der demokratische Aufbruch von 1918 stehe.

Viel Beifall für das Staatsoberhaupt, vor allem bei einer Passage, in der er die deutschen Nationalfarben für die Demokratie reklamiert. „Wer heute Menschenrechte und Demokratie verächtlich macht, wer alten nationalistischen Hass wieder anfacht, der hat gewiss kein historisches Recht auf Schwarz-Rot-Gold.“

Zum Auftakt der gut einstündigen Gedenkveranstaltung spielt das Nimrod-Ensemble aus Berlin eher sperrige Töne des Komponisten Paul Hindemith (1895-1963). Danach ergreift Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble das Wort. Mit Blick auf die Ereignisse vor 100 Jahren, aber auch auf die Pogromnacht von 1938 und den Mauerfall von 1989 sagt er: „An diesem Datum verdichtet sich unsere jüngere Geschichte in ihrer Ambivalenz, mit ihren Widersprüchen und Gegensätzen.“ Und er fügt hinzu: „Das Tragische und das Glück, der vergebliche Versuch und das Gelingen, Freude und Schuld: All das gehört zusammen. Untrennbar.“

Auch Steinmeier benennt Widersprüche und Konflikte: „Wir können stolz sein auf die Traditionen von Freiheit und Demokratie, ohne den Blick auf den Abgrund der Shoa zu verdrängen“, sagt er. Auch der 9. November 1918 stehe für eine paradoxe und widersprüchliche Revolution. Teile der radikalen Linken hätten von einem „Verrat an der Arbeiterklasse“ gesprochen, Republikfeinde von rechts vom „Dolchstoß“ und dem angeblichen Verrat an den Frontkämpfern.

Steinmeier erinnert auch an den Fall der Mauer 1989 - „den glücklichsten 9. November in unserer Geschichte“. Es bleibe aber die „schwierigste und schmerzhafteste Frage der deutschen Geschichte“, wie wenige Jahre nach dem demokratischen Aufbruch 1918 Feinde der Demokratie Wahlen gewinnen konnten, das deutsche Volk seine europäischen Nachbarn mit Krieg und Vernichtung überzog und „jüdische Familien in Viehwagen pferchte und Eltern mit ihren Kindern in Gaskammern schickte.“

Erinnerung dürfe nicht zum Ritual erstarren, sagt Steinmeier weiter, sondern müsse auch die konkrete Politik prägen. „In unserem Handeln müssen wir beweisen, dass wir, die Deutschen, wirklich gelernt haben, dass wir wirklich wachsamer geworden sind im Angesicht unserer Geschichte.“ Es dürfe nicht zugelassen werden, dass einige wieder behaupteten, allein für das „wahre Volk“ zu sprechen, wenn Menschen bestimmter Religion oder Hautfarbe unter Generalverdacht gestellt würden.

Zum Schluss der eindringlichen Rede dann noch ein Appell. Notwendig seien mehr Aufmerksamkeit und auch mehr finanzielle Mittel, um an die Orte und die Protagonisten der Demokratiegeschichte in Deutschland zu erinnern. Für das Selbstverständnis der Republik sollte mehr investiert als nur in Gräber von Königen oder in die Schlösser von Fürsten, mahnte Steinmeier.

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Die Katastrophe zweier Weltkriege und der Holocaust seien unverrückbarer Teil der deutschen Identität, sagte Steinmeier in einer Gedenkstunde des Bundestags am Freitag in Berlin. Zugleich sollte aber auch an die Wurzeln von Demokratie- und Freiheitsstreben erinnert werden, für die der demokratische Aufbruch von 1918 stehe.

„Wer heute Menschenrechte und Demokratie verächtlich macht, wer alten nationalistischen Hass wieder anfacht, der hat gewiss kein historisches Recht auf Schwarz-Rot-Gold“, sagte Steinmeier. Er bekam an dieser Stelle lang anhaltenden Applaus. In den Reihen der AfD-Fraktion klatschen nur wenige Abgeordnete.

„Wir können stolz sein auf die Traditionen von Freiheit und Demokratie, ohne den Blick auf den Abgrund der Shoa zu verdrängen“, sagte Steinmeier außerdem. Nationalisten würden die Vergangenheit vergolden und eine heile Welt beschwören, die es so nicht gegeben habe. „Ein demokratischer Patriotismus aber ist kein wohliges Ruhekissen, sondern ein beständiger Ansporn.“

Der 9. November 1918, als Philipp Scheidemann die Republik ausrief, habe in der deutschen Erinnerung nie den Platz gefunden, der ihm zustehe, beklagte Steinmeier. „Er ist ein Stiefkind unserer Demokratiegeschichte.“ Es sei aber ein „Meilenstein der deutschen Demokratiegeschichte“. Der Bundespräsident sagte: „Es lebe die deutsche Republik! Es lebe unsere Demokratie!“ Steinmeier erinnerte auch an den Fall der Mauer 1989 – „den glücklichsten 9. November in unserer Geschichte“.

Es bleibe aber die „schwierigste und schmerzhafteste Frage der deutschen Geschichte“, wie wenige Jahre nach dem demokratischen Aufbruch 1918 Feinde der Demokratie Wahlen gewinnen konnten und das deutsche Volk seine europäischen Nachbarn mit Krieg und Vernichtung überzog, „jüdische Familien in Viehwagen pferchte und Eltern mit ihren Kindern in Gaskammern schickte“, sagte Steinmeier weiter.

(mlat/dpa)
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