Steinmeier mahnt zu aufgeklärtem Patriotismus „Man kann Deutschland nur mit gebrochenem Herzen lieben“

Berlin · Bei der Gedenkzeremonie zum Ende des Zweiten Weltkriegs rief Bundespräsident Steinmeier zu einem geschichtsbewussten deutschen Patriotismus sowie zu europäischem und multilateralen Zusammenhalt auf. Die Veranstaltung an der Zentralen Gedenkstätte in Berlin fiel kleiner aus als geplant.

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede zum Gedenken an den Tag der Befreiung und das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede zum Gedenken an den Tag der Befreiung und das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren.

Foto: AFP/HANNIBAL HANSCHKE

Zum 75. Jahrestags des Kriegsendes hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Deutschen zu einem selbstkritischen und geschichtsbewussten Patriotismus aufgerufen. „Man kann dieses Land nur mit gebrochenem Herzen lieben“, sagte Steinmeier laut vorab verbreitetem Redetext in seiner Ansprache an der Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik in Berlin. „Die deutsche Geschichte ist eine gebrochene Geschichte – mit der Verantwortung für millionenfachen Mord und millionenfaches Leid“, sagte er. „Das bricht uns das Herz.“

Die Deutschen müssten ihrer Geschichte „ins Auge sehen“, mahnte der Bundespräsident. „Weil wir die historische Verantwortung annehmen, haben die Völker der Welt unserem Land neues Vertrauen geschenkt – und deshalb dürfen auch wir selbst uns diesem Deutschland anvertrauen.“ Darin sehe er einen „aufgeklärten, demokratischen Patriotismus“, sagte Steinmeier.

In seiner Rede zeichnete der Bundespräsident den „langen und schmerzhaften Weg“ der Deutschen hin zum Eingeständnis der eigenen Schuld nach. „Es waren Jahrzehnte, in denen viele Deutsche meiner Generation erst nach und nach ihren Frieden mit diesem Land machen konnten“, sagte er.

„Die Befreiung war 1945 von außen gekommen: Sie musste von außen kommen – so tief war dieses Land verstrickt in sein eigenes Unheil“, sagte Steinmeier. Aber: Die Deutschen hätten dann selbst Anteil genommen an der Befreiung. Steinmeier sprach in diesem Zusammenhang von einer „inneren Bereitung“. Diese Errungenschaft gelte es nun zu bewahren.

Wer das Eingeständnis der Schuld nicht ertrage, „wer einen Schlussstrich fordert, der verdrängt nicht nur die Katastrophe von Krieg und NS-Diktatur“, warnte Steinmeier. „Der entwertet auch all das Gute, das wir seither errungen haben – der verleugnet den Wesenskern unserer Demokratie.“ Nicht das Erinnern sei eine Last – „das Nichterinnern wird zur Last“, sagte er. „Nicht das Bekenntnis zur Verantwortung ist eine Schande – das Leugnen ist eine Schande!“

„Ja, wir Deutsche dürfen heute sagen: Der Tag der Befreiung ist ein Tag der Dankbarkeit!“, sagte der Bundespräsident weiter. „Drei Generationen hat es gedauert, bis wir uns dazu aus vollem Herzen bekennen können.“

In seiner Rede legte Steinmeier ein Plädoyer für die europäische Einigung ab, die in der Krisenzeit der Corona-Pandemie wichtiger sei denn je: „Wenn Europa scheitert, scheitert auch das 'Nie wieder!'“

Deutschland sei „über die Jahre vom Gefährder der internationalen Ordnung zu ihrem Förderer geworden“, sagte er – und legte ein Bekenntnis zur multilateralen Zusammenarbeit ab. Ohne die USA unter Präsident Donald Trump ausdrücklich zu nennen, sagte er: „Wir dürfen uns nicht abfinden mit der Entfremdung von denen, die sie errichtet haben. Wir wollen mehr und nicht weniger Zusammenarbeit auf der Welt.“

Wegen der Corona-Pandemie wurde die Gedenkzeremomie in Berlin im Umfang stark reduziert. Statt des geplanten Staatsakts, zu dem tausende Jugendliche aus Europa hätten kommen sollen, gibt es eine Kranzniederlegung an der Neuen Wache in Berlin.

Die Corona-Pandemie zwinge Deutschland, „allein zu gedenken – getrennt von denen, die uns wichtig und denen wir dankbar sind“, sagte Steinmeier. „Vielleicht versetzt uns dieses Alleinsein noch einmal zurück an jenen 8. Mai 1945: Denn damals waren die Deutschen tatsächlich allein.“

(c-st/AFP)
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