UN: "Deutschland geht unvorbereitet ins Jahr 2050" Deutschland fehlt ein langfristiges Bevölkerungskonzept

New York (dpa). Wenn es nach den Vereinten Nationen ginge, hätte jedes Land schon heute ein Bevölkerungskonzept für das Jahr 2050. Deutschland gehöre zu jenen Länder, die unvorbereitet in einen drastischen Umbruch ihrer Gesellschaft hineinschlittern, bemängelt der UN-Demograph Joseph Chamie. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen wird der Anteil von Deutschlands jüngeren Jahrgängen in 50 Jahren so weit geschrumpft sein, dass jeweils zwei Erwerbstätige einen Ruheständler unterhalten müssen.

"Das wird enorme Probleme geben", prophezeite Chamie, der die Abteilung für Bevölkerungsfragen (Population Division) bei den UN in New York leitet, in einem dpa-Gespräch zum Weltbevölkerungstag an diesem Dienstag (11. Juli). Wer soll die pflegebedürftigen Senioren versorgen und wer deutsche Produkte fertigen, wenn es kaum mehr Arbeitskräfte gibt? Dass sich das Blatt in absehbarer Zeit wieder wendet und die Bundesrepublik und ihre Nachbarn Italien, Frankreich und Spanien einen Kinderüberschuss erreichen, halten die UN für unwahrscheinlich.

Durch den Babymangel im industrialisierten Norden verschiebt sich die globale Bevölkerungsstruktur sehr schnell. Neue Internationale Bevölkerungsordnung (NIPO) nennt Chamie das Phänomen. Ein Beispiel liefert Europa: Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten drei Mal so viele Menschen zwischen Stockholm und Neapel wie in Afrika. In 20 bis 30 Jahren erwarten die UN das umgekehrte Verhältnis. Dann werden die Europäer zahlenmäßig nur noch ein Drittel der Afrikaner ausmachen. Genau so verhält es sich mit Russland und dem bevölkerungsmäßig expandierenden Pakistan.

Von den Industrieländern befindet sich lediglich eines, die USA, unter den ersten zehn in der Rangliste der Staaten mit dem größten Bevölkerungswachstum. Washington komme auf einen "jährlichen Netto- Zuwachs von einer Million Menschen" - fast ausschließlich durch Zuwanderer. Die fünf Länder an der Spitze, Indien, China, Pakistan, Indonesien und Nigeria, sind zusammen für die Hälfte des globalen Bevölkerungszuwachses verantwortlich.

Ein Rezept dafür, wie beide Seiten die Entwicklung zu ihrem Vorteil nutzen, haben die Vereinten Nationen nicht. "Wir empfehlen lediglich, den Tatsachen ins Auge zu sehen", sagt Chamie, "und so oder so Vorkehrungen zu treffen". Japan zum Beispiel plane, das Rentenalter anzuheben. Ein Ruhestand, der erst "mit ungefähr 70" beginnt, sei auch für Deutschland wahrscheinlich. Alternativ sei denkbar, die Leistungen für Rentner und Pensionäre drastisch zu reduzieren.

Wer sein schrumpfendes Arbeitskräfteheer mit Erwerbstätigen aus dem Ausland auffüllen wolle, sei gut beraten, das eigene Volk langsam darauf einzustimmen. Schon die Kleinsten in der Schule müssten lernen, dass "wir Teil der Welt sind", meint der UN-Direktor Chamie. Dann sei zu überlegen, welche Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigt und erwünscht sind. "Jedes Land hat das Recht, sich seine Zuwanderer auszusuchen." Wer zum Beispiel in die USA gelassen werde, sei gut ausgebildet und dadurch willkommen. Saudi-Arabien dagegen suche Dienstleistungskräfte und lasse daher Migranten aus Pakistan und Bangladesch ins Land.

(RPO Archiv)
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