"Deutsche Sonderwege sind passé"

Interview Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière sieht Deutschland international in der Verpflichtung, noch mehr militärische Verantwortung zu übernehmen. Schon im Dezember soll der Bundestag über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr entscheiden. Die Hardthöhe muss sich auf Stellenkürzungen einstellen.

Nun gibt es die Wehrpflicht nicht mehr. Die Zahl der Freiwilligen ist überschaubar. Warum soll ein junger Mensch heute zur Bundeswehr gehen?

De Maizière Die Anforderungen an den Soldaten von heute sind andere als früher. Er bedient komplizierte technische Geräte, von der Waffe bis hin zur Logistik. Er lernt früh, Verantwortung zu übernehmen und kann nach wenigen Monaten Gruppenführer werden. Er kann einen komplizierten Schweißer- oder Fernmeldelehrgang machen und natürlich auch weiterhin den Lkw-Führerschein. Wo gibt es so etwas für einen 20-Jährigen? Wir wollen dafür sorgen, dass die Zeit nach der Grundausbildung nicht zum Gammeldienst verkommt. Hinzu kommt: Wir zahlen im Verhältnis, etwa zu Lehrlingen, überdurchschnittlich gut, rund 1000 Euro pro Monat. Vor allem: Der junge Mann oder die junge Frau dient dem Land. Das ist ein eigener Wert. Wir sind zuversichtlich, dass wir 5000 + x Freiwillige pro Jahr zur Bundeswehr bekommen können.

Sie sagen, dass sich die Deutschen auf mehr Bundeswehreinsätze einstellen müssen. Meinen Sie damit Afrika?

De Maizière Wir sind bereits in Afrika engagiert. Am Horn von Afrika bekämpfen wir Piraten, wir haben Soldaten im Sudan. Die Rolle Deutschlands in der Welt wird sich weiter verändern. Bisher sind Streitkräfte dazu da, um das Land zu verteidigen, wenn es angegriffen wird, oder um nationale Interessen zu verteidigen, auch außerhalb der eigenen Grenzen. Das ist beides richtig. Ich füge aber hinzu: Wenn wir weltweit mehr Sicherheit wollen und die Vereinten Nationen eine wichtige Rolle dabei spielen sollen, dann sind die UN auf Staaten angewiesen, die bereit sind, militärische Verantwortung zu übernehmen. Das war bisher in Deutschland vor dem Hintergrund unserer Geschichte anders. Das wird sich ändern. Einen deutschen Sonderweg in der Frage internationaler Verpflichtungen kann es künftig nicht mehr geben. Das heißt nicht, dass wir uns überall beteiligen müssen. Es gibt klare Prüfkriterien: Halten wir den Einsatz militärisch für sinnvoll? Haben wir die militärischen Fähigkeiten für den Einsatz? Sind wir durch andere Einsätze zu stark belastet? Ist Deutschland in der Region ein anerkannter Partner? Solche Fragen werden wir jedes Mal sorgsam beantworten. Ein grundsätzliches Nein, einfach weil es nicht nur um deutsche Interessen geht, kann es aber nicht mehr geben.

Wird Deutschland stärker von den USA und anderen Partnern gefordert?

De Maizière Ja, die Anfragen werden häufiger und intensiver. Das liegt auch daran, dass unser Ruf gut ist. Wir gehören laut internationalen Umfragen zu den vier oder fünf beliebtesten Nationen der Welt. Deswegen müssen und können wir aber nicht überall eingreifen. Maßstab bleibt, dass die kriselnden Staaten so schnell wie möglich selbstständig Führung übernehmen können. Das ist ja auch unser Ziel in Afghanistan.

Ende des Jahres soll der Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan beginnen. Gibt es schon befriedete Regionen, wo wir abziehen können?

De Maizière Die afghanische Regierung hat ja bereits Regionen benannt, wo das Kommando an örtliche Sicherheitskräfte erfolgen kann, etwa in Masar-i-Sharif. Nach dem Ramadan will die Regierung weitere Provinzen und Regionen benennen, auch im Norden, wo deutsche Soldaten stationiert sind.

Können die ersten deutschen Soldaten Weihnachten zu Hause feiern?

De Maizière Wir tragen Verantwortung für den Norden als Ganzes. Ein Abzug kann nur verantwortungsvoll unter Berücksichtigung der gesamten Sicherheitslage erfolgen. Ich kann heute nur das Verfahren skizzieren. Wir werden im Oktober mit unseren 16 Partnern im Norden des Landes, also zum Beispiel Amerikanern, Norwegern, Schweden, Niederländern und Mongolen, einen Abzugsplan diskutieren. Danach werde ich die Beratungen innerhalb der Bundesregierung aufnehmen. Ich halte es dann für klug, dass Bundesregierung und Bundestag im Dezember sowohl über Abzugsmöglichkeiten als auch über die Verlängerung des Afghanistanmandats gleichzeitig beraten und entscheiden. Vor Weihnachten sollte klar sein, wie der Einsatz 2012 bis 2014 weitergehen soll.

Ist es bis heute besser oder schlechter geworden in Afghanistan?

De Maizière Es ist besser geworden. Die Einsatzleiter sprechen von verhaltenem Optimismus. Das trifft es ganz gut. Vor einem Jahr hatten die Taliban zum Teil noch Kontrolle in ganzen Regionen. Auch deswegen gab es übrigens weniger Anschläge. Denn Taliban bomben nicht in den von ihnen dominierten Gegenden. Die Taliban sind von der Flächenstrategie zur Nadelstichtaktik gekommen. Das zeugt von einer Schwäche der Taliban. Trotzdem sind die Anschläge der letzten Monate schrecklich und für die Angehörigen unglaublich schmerzhaft.

Es heißt, der libysche Diktator Gaddafi bereitet seine Flucht vor. Muss die Bundesregierung in einer Nach-Gaddafi-Ära neu über ein militärisches Engagement in Libyen nachdenken?

De Maizière Zunächst einmal kann ich die Gerüchte nicht bewerten. Wir setzen darauf, dass in einer Zeit nach Gaddafi dieses Land, wie andere arabische Staaten auch, aus eigener Kraft einen stabilen Staat aufrechterhalten kann. So ist es in Tunesien und in Ägypten. Die Frage stellt sich also nicht.

Und wenn stabile Verhältnisse nur mit militärischer Hilfe des Westens erreicht werden können?

De Maizière Wenn es Anfragen an die Bundeswehr gibt, werden wir das konstruktiv prüfen, wie wir das immer tun.

Sie wollen diverse Bundeswehr-Standorte schließen. Wie lassen sich Konflikte mit den Ländern vermeiden?

De Maizière Gar nicht. Wichtig ist, dass die Entscheidungen so transparent und fair wie möglich getroffen werden. Es wird keine Günstlingsentscheidungen geben. Einer meiner Vorgänger, Peter Struck, hat mir geraten, ich solle gründlich überlegen, fachlich entscheiden, umfassend erläutern. Und dann stehen bleiben. So werde ich es tun.

Wird Bonn seinen Ministeriumsstatus behalten?

De Maizière Die Hardthöhe wird immer wichtiger Standort bleiben. Wir sind in Gesprächen. Denen will ich nicht vorgreifen. Nur so viel: Allein in Bonn arbeiten – das Ministerium nicht mitgezählt – über 3000 Menschen bei der Bundeswehr. Im Bereich Bonn und Köln sind es über 10 000. In Düsseldorf dagegen liegen wir bei 1500. Wenn man bedenkt, dass NRW ein großes Land mit vielen Regionen ist, wird es nicht verwunderlich sein, wenn auch der Bereich Köln-Bonn von Kürzungen betroffen sein wird.

(RP)
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