Porträt Deutsche? Französin? Europäerin!

Paris · Sabine Thillayes Leben ist eine deutsch-französische Erfolgsgeschichte: Die 58-Jährige aus Remscheid macht in Paris politisch Karriere.

Für Sabine Thillaye ist Europa wie ein Bus. Einer, in dem zwar bald nur noch 27 Passagiere mitfahren, der aber trotzdem zwei Motoren hat: Deutschland und Frankreich. Thillaye kennt beide Länder. Als gebürtige Deutsche lebt sie schon seit gut 34 Jahren in Frankreich und hat die doppelte Staatsangehörigkeit. Der französische Pass war auch nötig, damit die 58-Jährige für Emmanuel Macrons Partei La République en Marche (LREM) für die Nationalversammlung kandidieren konnte. Im Juni wurde sie gewählt und sitzt seither nicht nur als Abgeordnete im Parlament, sondern leitet dort auch den wichtigen Europa-Ausschuss.

Diese Funktion passt perfekt zur Biografie der Frau mit den schulterlangen Haaren und der runden Brille, die die europäische Integration ganz privat erlebt hat. Eigentlich war sie während des Jurastudiums nur für einen Sprachkurs nach Frankreich gekommen. Doch im westfranzösischen Tours lernte sie ihren späteren Mann kennen und ließ sich dort nieder. Drei inzwischen erwachsene Kinder zog sie groß, natürlich zweisprachig erzogen. Dann wurde sie Unternehmerin, bevor sie nun einen späten Wechsel in die Politik vollzog.

"Vor gut 34 Jahren wäre es nicht möglich gewesen, dass ich diese Funktion bekleide. Ich finde es großartig von den Franzosen, dass sie mir vertrauen", sagt sie mit breitem Lächeln. Kein Wunder also, dass die bekennende Pragmatikerin aus Remscheid im Bergischen Land ihren ganzen Elan in die europäische Sache steckt. Als Gründerin eines pro-europäischen Vereins, als Leiterin des Europahauses in Tours und nun auch als Abgeordnete.

Ausgerechnet am Tag der Trauerfeier für Simone Veil, der großen Europäerin, wurde Thillaye am 5. Juli zur Präsidentin der "Commission des Affaires Européennes" gewählt. Als sie direkt danach zur Trauerfeier für Veil im Hof des Invalidendoms ging, so erinnert sie sich, "spürte ich eine große Verantwortung". Dass sie eine Brückenbauerin sein könne, das war ihre Hoffnung an jenem denkwürdigen Tag.

Gräben zu überwinden, das ist nicht leicht in einer Zeit, in der in Frankreich die EU-Skepsis vor allem am rechten und linken Rand groß ist. Thillaye hat das klare Nein der Franzosen bei einer Volksabstimmung 2005 zur damals geplanten EU-Verfassung noch nicht vergessen. "Ich war geschockt, dass der Text, der so viele französische Ideen enthielt, ausgerechnet in Frankreich abgelehnt wurde", erinnert sie sich. "Doch man hat die Bevölkerung damals nicht mitgenommen."

Das will Emmanuel Macron nun anders machen. Gut vier Monate nach seinem Wahlsieg enthüllte der Staatschef in einer Rede an der Sorbonne seine Ideen für eine Neugründung Europas. Eine Initiative, die Thillaye aus vollem Herzen begrüßt. "Der Präsident hat frischen Wind reingebracht. Frankreich ist zurück." Als Anführer Europas, wie ihn das US-Magazin "Time" nannte, sieht sie den Staatschef aber nicht. "Es geht vor allem darum, Schnittstellen zu finden, mit denen alle leben können."

Macrons Europabegeisterung war es auch, die die Unternehmerin als Spätberufene in die Politik brachte. "Ich fand es nach den Jahren des Euroskeptizismus toll, dass ein Kandidat sagte: Wir schämen uns nicht mehr für Europa, sondern wir machen damit Wahlkampf." Genau deshalb habe sie den Mut aufgebracht, sich als Deutsch-Französin für einen Parlamentssitz zu bewerben. "In der Politik braucht man schon Mut."

Das gilt umso mehr für jemanden wie sie, der noch nie Politik gemacht hat - wie im übrigen viele Parlamentarier von Macrons Partei LREM. Vor 30 Jahren hatte Thillaye zusammen mit ihrem Mann eine Agentur für Werbung und Wegleitsysteme gegründet, die heute vier Angestellte hat. Die Führung des Unternehmens liegt inzwischen ganz in den Händen ihres Mannes, da Thillaye unter der Woche in Paris ist. Von Freitag bis Montag kehrt sie aber in der Regel nach Tours zurück, wo sie auch ihren Wahlkreis hat.

"Die ersten Monate sind schwierig, weil man viel zu lernen hat und sich in so viele Themenbereiche einarbeiten muss", erinnert sie sich. Auf ihrem Schreibtisch im imposanten Eckbüro der Rue Saint Dominique hat sie eine Fassung des Lissabon-Vertrags liegen, mit dem 2007 die Institutionen der EU reformiert wurden. Als Vorsitzende des Europa-Ausschusses will sie viele gemeinsame Projekte anstoßen, vor allem zwischen Deutschland und Frankreich. An der gemeinsamen Erklärung beider Parlamente zum 55. Jahrestag des Elysée-Vertrags hat Thillaye natürlich mitgearbeitet. Sie saß im Bundestag auf der Ehrentribüne, als die gemeinsame Sitzung mit der Nationalversammlung begann. Als Abgeordnete, Ausschussvorsitzende - und vor allem als lebendes Beispiel für die deutsch-französische Freundschaft.

(RP)
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