Der Staat muss neutral sein in religiösen Dingen

Die Karlsruher Richter haben mit ihrem neuesten Kopftuch-Urteil eine bemerkenswerte Wende vollzogen. Galt in der Entscheidung von 2003, dass für ein Kopftuchverbot eine gesetzliche Grundlage nötig ist, verwerfen die Richter nun gänzlich den Zwang, das Kopftuch im Unterricht abzulegen. Sie begründen das mit der Beschränkung der Glaubensfreiheit. Doch darum geht es gerade nicht. Die Garantie der Glaubensfreiheit ist zwar ein hohes Gut, aber sie bedeutet nicht, dass der Staat die Ausübung der Religion jederzeit einseitig sicherzustellen hat. Wenn Schülerinnen, vor allem aus muslimischen Familien, das Tragen des Kopftuchs bei Lehrerinnen als Bevormundung empfinden, wiegt das staatliche Neutralitätsgebot höher als das Bedürfnis, seinen Glauben zu zeigen. Der Islam wird künftig in Schulen womöglich eine größere Rolle spielen als bei einem Kopftuchverbot.

Das Urteil ist umso bemerkenswerter, weil das Gericht zugleich den Einfluss des Christentums kappt. Es darf nicht mehr privilegiert werden. Damit verliert die christliche Tradition an Bedeutung, während der Islam gewinnt. Man mag das Erste aus der Neutralitätspflicht des Staates ableiten. Das Zweite widerspricht ihr. Es ist kein besonders kluges Urteil.

(RP)
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