Der Schlächter von Srebrenica

Ratko Mladic war der schillerndste und mächtigste Feldherr der Kriege auf dem Balkan in den 90er Jahren. Gestern fassten die Ermittler den General, der für Slobodan Milosevic und Radovan Karadzic morden ließ. Nun wird er sich unter anderem für das Massaker in der bosnischen Ortschaft Srebrenica 1995 verantworten müssen.

Wien Vielleicht begann alles Unheil schon damit, dass ihn sein Vater auf den Namen Ratko taufte – das bedeutet "der Krieger". Als Ratko Mladic am 12. März 1942 im bosnischen Gebirgsnest Bozanovici zur Welt kam, wüteten dort die kroatischen Faschisten, Hitlers Balkan-Verbündete. Mladics Vater kämpfte auf der Gegenseite, bei den Partisanen des späteren Jugoslawien-Gründers Josip Broz Tito, und kam bei einem Gefecht ums Leben. Ein Schlüsselerlebnis für den jungen Ratko, erzählen Freunde der Familie. Fortan soll er die Kroaten und die Deutschen bis aufs Blut gehasst und sein Leben lang auf Rache gesonnen haben.

Mladic absolvierte die Akademie der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) in Belgrad als Jahrgangsbester. Für Titos Sozialismus war er Feuer und Flamme, doch den von seinem Idol diktierten Völkerfrieden verinnerlichte er nie.

Eine diabolische Laune der Geschichte wollte, dass Mladic seine spätere Militärkarriere just dem Untergang seines geliebten Jugoslawien verdankte: Sein Aufstieg als Balkan-Feldherr begann im Frühjahr 1991, als Mladic zum Kommandanten des 9. Armeekorps in Knin, im kroatischen Küstenhinterland, befördert wurde. Kroatien stand unmittelbar vor der Abspaltung von Jugoslawien. Der serbische Präsident Slobodan Milosevic, der sich als legitimer Nachfolger Titos fühlte, wollte dies mit allen Mitteln verhindern. Als militärischer "Beschützer" der dort aufständischen Serben erlangte Mladic Berühmtheit. Milosevic ließ ihn als "Zerstörer des neuen kroatischen Faschismus" feiern. 1995 löschten die Kroaten die Rebellenrepublik "Serbische Krajina" aus, doch Mladic war längst zum nächsten Kriegsschauplatz weitermarschiert – auf Veranlassung des bosnischen Serbenführers Radovan Karadzic, eines Psychiaters und Nationalisten, der ebenfalls mit Waffengewalt einen ethnisch reinen Serbenstaat in Bosnien-Herzegowina errichten wollte. Unter wohlwollender Duldung des obersten Kriegsherrn Milosevic formte Mladic aus dem JNA-Militärbezirk Sarajevo seine eigene Truppe: Schlagartig standen ihm Tausende Soldaten serbischer Nationalität, ein gewaltiges Waffenarsenal und die Infrastruktur der in Auflösung begriffenen Volksarmee zur Verfügung.

Mit seinem massigen Körper, kantigen Schädel, skrupellosen Charakter und hitzigen Temperament trat Mladic auf wie ein menschlicher Panzer. Der Milosevic-Biograf Slavoljub Djukic schreibt, er sei "ein ausgesprochen fähiger Kommandant von technokratischer Kaltblütigkeit" gewesen.

Allerdings hatte Mladic, der marxistisch gedrillte Partisanensohn, für seinen Führungszwilling Karadzic, Spross eines königstreuen Tschetniks, wenig mehr als Verachtung übrig. Mehr als ein Zweckbündnis war es nicht. Alle militärischen Entscheidungen traf Mladic eigenmächtig, Karadzic durfte sie hinterher absegnen.

Doch sein militärisches Talent war nur bedingt gefordert: Allein die schiere Waffenüberlegenheit der Serben ließ muslimische Bosnier und bosnische Kroaten kaum mehr als die Wahl zwischen Flucht und Tod. "Schießt nur auf Menschenfleisch!", lautete Mladics zynischer Befehl, denn die Beute – Häuser, Wohnungen und anderer Besitz der Getöteten und Vertriebenen – sollte den Eroberern möglichst unversehrt in die Hände fallen. Ziele, deren Eroberung zu große Eigenverluste befürchten ließen, wurden einfach belagert und von sicheren Hügelstellungen aus unter Artilleriefeuer genommen. Allein in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, die fast vier Jahre lang eingekesselt war, starben 10 000 Menschen, vor allem Zivilisten. Angst und Schrecken verbreiteten namentlich Mladics Scharfschützen, die wehrlose Menschen aus dem Hinterhalt wie Freiwild töteten.

Stoppen konnten Mladics Mordmaschine letztlich nur Nato-Bomben; und nur diese erzeugten auch den nötigen Druck für Friedensverhandlungen. Doch erst musste das schlimmste Kriegsverbrechen seit 1945 geschehen, ehe sich die Nato-Regierungen zu einer militärischen Intervention entschlossen: das Massaker in der ostbosnischen Uno-Schutzzone Srebrenica mit mehr als 8000 Toten (siehe unten). Der Massenmord läutete das Ende des legendären Militärführers Mladic ein. Milosevic ließ ihn und Karadzic ohne Skrupel fallen, als er beschloss, den Krieg auf Druck der Staatengemeinschaft zu beenden, um seinen eigenen Kopf zu retten. Mladic tauchte unter, Ruhe fand er wohl kaum. Seine Verbrechen trafen am Ende auch seine eigene Familie: Ana, Mladics 23-jährige Tochter, erschoss sich 1994 mit der Dienstpistole ihres Vaters. Die Kriegsverbrechen ihres Vaters, so ein Gerücht, hätten bei der Medizinstudentin eine schwere Depression ausgelöst und sie in den Tod getrieben. Gleichwohl feiern viele Serben Mladic bis heute als einen ihrer größten Nationalhelden.

(RP)
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