Jewgenia Timoschenko "Der Protest hat meine Mutter gestärkt"

Die Tochter der inhaftierten ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko kämpft für die Freilassung ihrer Mutter. Ihr Ziel ist klar: der Rücktritt von Präsident Viktor Janukowitsch. Vom Westen wünscht sich die 33-Jährige mehr Unterstützung.

 Jewgenia Timoschenko zeigt auf einer Pressekonferenz in London ein Foto ihrer Mutter. Die Tochter ist zu ihrer wichtigsten Botschafterin geworden.

Jewgenia Timoschenko zeigt auf einer Pressekonferenz in London ein Foto ihrer Mutter. Die Tochter ist zu ihrer wichtigsten Botschafterin geworden.

Foto: dpa

Sie wollten gestern Ihre Mutter in der Gefangenen-Abteilung des Krankenhauses von Charkow besuchen. Welche Probleme gab es dabei?

Timoschenko Die Repressionen, denen meine Mutter ausgesetzt ist, wurden in den vergangenen Wochen verschärft. Dazu gehört auch, dass Vertreter ihrer Partei, ihre Anwälte und ich nicht zu ihr gelassen werden. Das Regime versucht, sie zu isolieren, damit sie keine Botschaften an die Demonstranten übermitteln kann. Gestern habe ich 45 Minuten gewartet, aber nichts passierte. Schließlich konnte ich von der Straße aus zu ihrem Fenster hochrufen, dass ich da bin. Niemand hatte ihr das gesagt. Schließlich hat es mit dem Treffen doch geklappt.

Ihre Mutter hat am 6. Dezember ihren Hungerstreik beendet, weil die Demonstranten sie darum gebeten hatten. Wie geht es ihr körperlich und psychisch?

Timoschenko Es geht ihr langsam besser, aber sie hat sehr an Gewicht verloren und kann sich nur wenig bewegen. Moralisch ist sie jetzt viel stärker nach dem Scheitern des EU-Gipfels von Vilnius. Ihre Überzeugung, die ganzen Jahre gegen das Regime und seine korrupten Clans zu kämpfen, wird nun von Millionen Menschen geteilt — oder zumindest von der Million, die auf die Straße geht. Sie ist erfreut über die Aktivität der Massen, aber auch in großer Sorge, wie diese Ereignisse enden werden. Sie hat Angst vor Gewalt.

Der Anwalt ihrer Mutter befürchtet, in der gegenwärtigen revolutionären Stimmung könnte Julia Timoschenko aus dem Krankenhaus "befreit" werden — eine Provokation des Regimes, um die Opposition zu diskreditieren. Was steckt hinter diesen Gerüchten?

Timoschenko Alles ist möglich, jede Form der Provokation. Sie wurde ja auch schon geschlagen, als man sie im April 2012 gegen ihren Willen in das Krankenhaus einlieferte. Da gibt es keine Grenzen. Das einzige, worauf wir bauen, ist die öffentliche Aufmerksamkeit, den ihr Fall in den westlichen Medien und bei Staats- und Regierungschefs genießt.

Ihre Mutter schickt sehr starke Botschaften an die Menschen, die auf dem Unabhängigkeitsplatz demonstrieren. Auf welchen Ausgang der Ereignisse hofft sie?

Timoschenko Sie hofft, dass die friedliche und legale Meinungsäußerung des Volks genug Druck auf die Regierung von Viktor Janukowitsch ausübt, dass er zurücktritt und Neuwahlen ansetzt. Dass die Voraussetzungen für die Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen mit der EU geschaffen werden. Janukowitsch hat in den vergangenen Jahren die Macht so sehr monopolisiert, dass alle anderen Tentakel absterben werden, wenn er von seinem Posten enthoben wird.

Viele Demonstranten auf dem Maidan-Platz haben mir gesagt, wie sehr sie bedauern, dass Julia Timoschenko ihre Bewegung nicht anführen kann. Was denken Sie darüber?

Timoschenko Das ist ja genau der Grund, warum sie in Haft sitzt. Weil das Regime das begriffen hat und versucht, sie zu isolieren. Aber wir haben jetzt eine Situation, wo die Leute aufgestanden sind, nicht zur Unterstützung politischer Anführer, sondern für sich selbst. Das ist der große Unterschied zur Orangen Revolution.

Was erwarten Sie in dieser Situation vom Westen?

Timoschenko Der Westen sollte es nicht mehr nur mit Zuckerbrot versuchen, sondern auch mit der Peitsche. Janukowitsch hat ja schon bewiesen, dass er nie irgendwelche Bedingungen erfüllt. Alles, was er sagt, wird sofort durch seine Taten negiert. Deshalb ist meine Mutter dafür, dass Mitglieder seines Regimes und seines Clans im Westen mit Sanktionen belegt werden, wie das von den USA auch schon geplant ist. Sanktionen würden auch die Oligarchen treffen, die Janukowitschs Futterquelle sind. Das wäre für sie richtig schmerzhaft, und dann würden sie ihn zwingen, das System zu ändern oder zurückzutreten.

Doris Heimann führte das Interview.

(RP)
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