Analyse Der neue Umgang mit Steuersündern

Berlin · Steuerhinterziehung galt einst als Kavaliersdelikt, Steuervermeidung als Volkssport. Das hat sich in Zeiten der Steuer-CDs gewandelt. Die Wut richtet sich vor allem gegen Prominente, die sich an der Steuerpflicht vorbeimogeln.

Die Finanzpolitiker der großen Koalition hatten gestern einen schweren Stand, die strafbefreiende Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung gegen die wütenden Attacken der Opposition zu verteidigen. Selbst Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der als staatlicher Kassenwart vor allem ein Interesse an Einnahmen hat, will die Selbstanzeige nur behalten, wenn die Steuersünder künftig empfindliche Strafzinsen für die hinterzogenen Summen bezahlen. Die Schonzeit für Steuerbetrüger ist definitiv vorbei.

Dabei tobt der Streit darum, wer die Steuern wirklich zahlt, seit es Staaten gibt. Mussten früher oft die Besiegten oder die unteren Klassen für Prachtentfaltung und Kriege der Fürsten aufkommen, wird heute grundsätzlich jeder steuerlich herangezogen. Mehr noch: Die Leistungsfähigeren sollen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Potenz mehr beitragen als die finanziell schlechter Gestellten.

Doch genau daran entzündet sich ein neuer Konflikt. Denn die Reichen entziehen sich mitunter recht geschickt ihrer Steuerpflicht, während die Normalverdiener kaum Chancen haben, ihre Steuerschuld zu vermindern. Das böse Wort der "Dummensteuer" macht die Runde. Danach zahlen nur diejenigen Steuern, die entweder die komplizierten Steuergesetze nicht durchschauen und deshalb Möglichkeiten der legalen Steuervermeidung nicht nutzen. Oder diejenigen, die nicht schlau oder skrupellos genug sind, ihre Erträge in Steueroasen wie den Bahamas oder den Cayman-Inseln raffiniert zu verbergen.

Der Aufkauf vertraulicher Steuer-CDs mit Bankdaten vermögender Kunden durch die Finanzbehörden hat dieses Bild radikal geändert. Jetzt sehen sich die Steuersünder plötzlich an den Pranger gestellt. Und die Liste der Prominenten ist lang, die sich um ihre Steuerpflicht offenbar herum gemogelt haben: Alice Schwarzer, Uli Hoeneß, Klaus Zumwinkel, Freddy Quinn, Theo Sommer. Manche haben sich wie die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer durch Selbstanzeige freigewaschen, andere wie der frühere Post-Chef Klaus Zumwinkel oder der ehemalige Zeit-Chefredakteur Theo Sommer wurden wegen Steuerhinterziehung verurteilt. Gegen Bayern-Boss Uli Hoeneß ermitteln die Behörden noch. Dem früheren NRW-Finanzminister Helmut Linssen (CDU) war trotz dubioser Konten in der Karibik nichts nachzuweisen.

Es ist nicht allein die Gier, die die Vermögenden zur Steuerhinterziehung veranlasst. Bei einer nicht geringen Zahl ist es auch das Gefühl, viel zu viel Steuern zu bezahlen. Geht es um Erbschaften oder erarbeitetes Vermögen, herrscht oft die Auffassung vor, das sei doch alles schon versteuert. Dass die Erträge auf Vermögen und das Erbe eine weitere Einkunftsquelle darstellen, wird gern ausgeblendet.

Hinzu kommt, dass viele Gutverdiener glauben, ohne den Staat auskommen zu können. Sie schicken ihre Kinder auf Privatschulen, haben kommerzielle Sicherheitsdienste und nehmen keinerlei Sozialleistungen in Anspruch. Angesichts der hohen Steuerlasten stimmt ihrer Meinung nach die Balance zwischen Leistung und Gegenleistung nicht. "Die Steuer ist eine Zahlung ohne Motiv", hat ein renommierter Psychologe gesagt. Man gibt Geld an eine anonyme Macht und kann keinerlei Gegenleistung geltend machen. Wenn der Staat dann mehr als die Hälfte der Einkünfte abzieht, nehmen bei vielen die Skrupel zur Steuerhinterziehung ab. Man gibt dem Staat das, was man glaubt, ihm geben zu müssen. Die neue SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hat das auf den Punkt gebracht: "Die Reichen dürfen nicht selbst festlegen, was sie an Steuern bezahlen."

Misslich ist es, dass die teils laxe Steuermoral vieler Gutverdiener nun offensichtlich wird. Denn wer als Unternehmer oder Vermögender Einfluss hat, gibt sich gern moralisch untadelig. Bayern-Boss Hoeneß hat ein Herz für die zu kurz Gekommenen. Dass er mit unversteuerten Millionen auf Konten in Liechtenstein nächtelang zockt, beschädigt dieses Bild. Die Frauenrechtlerin Schwarzer gilt als moralische Instanz. Selbst Ex-Post-Chef Zumwinkel erklärte öffentlich, Leute wie er hätten Vorbildcharakter. Und Zeit-Chef Sommer wütete gegen geldgierige Manager, die aufpassen müssten, dass "Big Business nicht mit organisierter Kriminalität gleichgesetzt wird".

Vom hohen Moralsockel fallen solche Prominente um so tiefer. Allein das müsste reichen, um in Steuerfragen besonders pingelig zu sein. Doch offenbar messen hier viele mit zweierlei Maß, nämlich dem, was sie von anderen verlangen, und dem, was sie sich selbst zubilligen. Der offene Markt der Steuererklärungen über den Handel mit Steuer-CDs hat diese Rechnung durchkreuzt.

Es wäre indes ungerecht, nur alles auf die Reichen und Mächtigen zu schieben, die gefehlt haben. Viele, die Vermögen gebildet haben – aus einer Erbschaft, einem Unternehmen, aus guten Verdiensten oder auch einem Lottogewinn – kommen unweigerlich in Versuchung, dessen Einkünfte dem Fiskus vorzuenthalten. Die meisten mögen widerstehen, etliche jedoch nicht, wie die ungezählten Selbstanzeigen auf die Käufe von Steuer-CDs beweisen. Manch ein Mittelständler hat sich mit einem Konto in einer Steueroase ein zweites Standbein geschaffen, um im Falle des Scheiterns noch auf Vermögen zurückgreifen zu können.

"Kann Raub ohne Sünde sein", hat der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin einmal gefragt, und dies für den Staat mit seinen legitimen Aufgaben bejaht. Dass er Steuern als Raub ansieht, zeigt aber die Ambivalenz der Steuer. Das deutsche Steuerstrafrecht sieht das anders. Denn Steuerhinterziehung gilt nicht als Betrug am "räuberischen" Staat, sondern als Betrug an den gesetzestreuen Steuerpflichtigen. Es gibt keine Ausrede: Wer Steuern hinterzieht, schädigt die Ehrlichen.

(RP)
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