Neuer Mängelbericht des Wehrbeauftragten Die Bundeswehr setzt auf das Jahr 2031

Berlin · Der Wehrbeauftragte wünscht sich ein frühlingshaftes „Alles-wird-neu“-Gefühl für die Truppe. Stattdessen blickt er in den Schlund eines „Bürokratiemonsters“ und auf viele Jahre ohne ein Ende des Winters.

 Jeden Monat ein neues Fluggerät - hier ein NH-90-Hubschrauber im Wintereinsatz.

Jeden Monat ein neues Fluggerät - hier ein NH-90-Hubschrauber im Wintereinsatz.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sieht sich gut fünf Jahre nach Amtsantritt „dynamisch“ auf gutem und richtigem Weg. Jedes Jahr gebe es inzwischen im Durchschnitt ein neues Schiff, jeden Monat ein neues Flugzeug oder einen neuen Hubschrauber und jede Woche einen neuen Panzer für die Truppe. Wer dazu den Jahresbericht des Wehrbeauftragten zu Rate zieht, muss die Aufzählung ergänzen: Und jeden Tag ist weiter Winter.

Auf die Formel von „Es ist immer noch Winter“, obwohl er doch gerne von „Frühling“ und „alles wird neu“ berichten wolle, brachte es Hans-Peter Bartels, als er an diesem Dienstag seinem Auftraggeber, dem Deutschen Bundestag, die aktuelle Summe seiner Beobachtungen, Nachprüfungen und Besichtigungen aller Bereiche der Bundeswehr vorlegte. Auf 126 eng beschriebenen Seiten gibt es nicht nur den üblichen Mängelbericht mit vielen Benachteiligungen, Verhöhnungen und Grundrechtsverletzungen einzelner Soldaten. Bartels beschreibt darin auch, warum die von der Ministerin eingeleiteten Trendwenden bei Personal, Material, Infrastruktur und Finanzen „ganz überwiegend noch nicht spürbar sind“: Das sei struktureller Natur und wird von Bartels nach dem Wortgebrauch vieler Soldaten „Bürokratiemonster“ genannt.

Verantwortung für alles, was nicht funktioniert, zu spät kommt und zu teuer wird, scheint nach der Analyse des Mannes mit dem wohl intensivsten Einblick in den Alltag der Truppe „in einem Labyrinth verzweigter Zuständigkeiten zu verschwinden.“

Als krasses Beispiel nimmt er einen Piloten, der dringend eine neue Fliegerkombi braucht. Da stellt der Soldat ganz modern, einfach und digital einen Antrag. Der wird dann aber zunächst von seiner Einheit geprüft, dann prüft ihn der Verband, dann die Division, dann das Kommando. Daraufhin entscheidet das zentrale Beschaffungsamt über den Antrag, woraufhin das Bekleidungsmanagement das Stück an die zuständige Servicestelle liefert, das Kommando die Division informiert und diese dann den Antragsteller. Die Laufzeit dieses neunstufigen Bekleidungsverwaltungsvorgangs betrage bis zu drei Monate. Das vermittelt einen Eindruck davon, was los ist, wenn es nicht um ein einfaches Kleidungsstück, sondern um ein komplexes Kampfflugzeug geht und gleich zwölf verschiedene Dienststellen einzuschalten sind.

Da gehe es durchaus auch um eine Gefährdung des Einsatzes, wenn die dazu verwendete Software den von Soldaten längst für den Start freigegebenen Jet am Boden halte, weil irgendwo irgendwelche Einträge fehlen. Zudem sorgt sich der Wehrbeauftragte um die Sicherheit im Einsatz, wenn die Bundeswehr mangels eigenen Fluggerätes in Mali und Afghanistan den Lufttransport der Soldaten durch zivile Maschinen abwickeln lässt, die natürlich längst nicht alle über die für Militärflugzeuge vorgeschriebenen besonderen Schutzfunktionen gegen Angriffe verfügen.

„Sehr deutlich“ wächst nach von der Leyens Einschätzung die Personalstärke der Bundeswehr. Sie räumt ein, dass 21.500 Stellen unbesetzt seien, rechnet dazu aber vor, dass sich zugleich 35.000 Männer und Frauen in Ausbildung befänden. Bartels rechnet anders. Er sieht das Wachstum auf dem Rücken der altgedienten Soldaten, die dazu angehalten würden, ihre Verpflichtungen zu verlängern. Tatsächlich sei die Zahl der Neueintritte auf den „niedrigsten Stand in der Geschichte der Bundeswehr“ gesunken. Das hänge auch damit zusammen, dass jeder vierte bis fünfte neue Soldat schnell feststelle, dass das doch nichts für ihn ist.

Denn er erlebt, wo es überall klemmt und was nicht funktioniert. Deswegen rät Bartels der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr dringend dazu, von anderen zu lernen, so lange die Vollausstattung nicht wiederhergestellt ist: Die britische Royal Air Force schaffe zum Beispiel viel mehr Flugstunden mit dem Eurofighter als die Luftwaffe. Das Berliner Studierendenwerk garantiere gute Verpflegung und Unterkunft für Zehntausende junger Leute viel preisgünstiger als der Bundeswehrbetrieb. Und selbst die Polizei bekomme ihre neuen großen Grenzschutzboote schon binnen drei Jahren. Eine Erklärung von Bartels nach intensiver Befragung der Beteiligten: „Die Bundeswehr leidet zugleich an Unterbesetzung und Überorganisation.“ Oder kürzer aus Soldatenmund: „Wir verwalten uns zu Tode.“

Als „Fehler“ bezeichnet es der Wehrbeauftragte, dass dem Koblenzer BAAIN (Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr) die Verantwortung für die Nutzung des gesamten Wehrmaterials in allen Teilstreitkräften zentral übertragen wurde. „Das Amt ist bekanntermaßen überlastet“, sagt Bartels, und versucht, für ein einfaches Prinzip zu werben. Nicht derjenige, der das Material beschafft, sollte dafür sorgen müssen, dass es für den Einsatz gepflegt werde, sondern derjenige, der es ständig nutze. „Das spart Zeit, Geld und Nerven“, verrät Bartels.

Von der Leyen plädiert für einen „langen Atem“. Ein Vierteljahrhundert des Schrumpfens und Sparens lasse sich nicht in ein paar Jahren umkehren. In ihrem Konzept für den Frühling in der Truppe steht das Jahr 2031 als Ziel für eine Vollausstattung. Bartels mag so lange nicht warten und will ein „Sofortprogramm“ als „Befreiungsschlag“. Zumindest für alle kleinen Dinge, die schon erfunden, getestet und  zertifiziert seien. Schließlich habe auch die Koalition beschlossen, dass die Beschaffung schneller werden müsse. Und zwar jetzt, nicht erst 2031.

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