Kiew/Brüssel Der neue Eiserne Vorhang im Osten Europas

Kiew/Brüssel · Die Ukraine will die Grenze zu Russland abschotten, um die Separatisten von Verstärkungen abzuschneiden. Die EU ringt derweil um Sanktionen.

Kiew/Brüssel: Der neue Eiserne Vorhang im Osten Europas
Foto: RP / Kruggel

Eine Sperre durch Europa, 2300 Kilometer lang, mit Wachtürmen, Gräben und Infrarotkameras, so will die ukrainische Regierung die Grenze zu Russland befestigen. Der Bau der Verteidigungsanlagen, die Erinnerungen an den Eisernen Vorhang wecken, hat bereits begonnen. Präsident Petro Poroschenko erteilte die entsprechende Order.

Das Projekt mit dem Namen "Mauer" soll in Zukunft verhindern, dass der Osten der Ukraine von russischen Kämpfern infiltriert wird. Der Bau soll in zwei Phasen erfolgen, erklärte der Vize-Chef der ukrainischen Grenztruppen, Pawel Schischolin: Zunächst sollen die Befestigungen an jenen Grenzabschnitten errichtet werden, wo derzeit keine Kampfhandlungen stattfinden. Es handelt sich dabei um insgesamt 500 Kilometer in den Regionen um Charkow, Sumi und Tschernigow. Auch für die Grenze zur Krim, die im Februar von Russland annektiert wurde, sind solche Verteidigungsanlagen geplant.

Die zweite Etappe des Baus werde man erst beginnen, wenn die Kämpfe in der Ost-Ukraine beendet seien, sagte Schischolin. In der Gegend um Donezk und Lugansk sind immer noch größere Gebiete unter Kontrolle der prorussischen Separatisten. Die "ingenieurstechnische Ausstattung" sehe Gräben von vier Meter Breite und zwei Meter Tiefe vor, dazu Kontroll-Sandstreifen, Fahrwege für Patrouillen, verschiedene optische Beobachtungssysteme, Wachtürme und Alarmanlagen. Die gigantischen Pläne umfassen auch 8000 Stellungen für Militärtechnik und 4000 Unterstände für Soldaten. Später soll dann auf der gesamten Länge der Grenze eine Mauer errichtet werden.

Bleibt die Frage, wie sich die Ukraine - ein Land ständig am Rand des Staatsbankrotts - das alles leisten will. "Für die Anfangsphase haben wir Geld", sagte Premierminister Arseni Jazenjuk. Man werde eine Geberkonferenz mit EU-Ländern einberufen und hoffe auf finanzielle und technische Hilfe. "Das betrifft die Sicherheit Europas und ist faktisch die Befestigung von Europas Ostgrenze", so der Premier.

Unterdessen drosselt Russland offenbar die Gaslieferungen an Europa und erhöht somit den psychologischen Druck auf den Westen. Nach Polen meldete gestern auch die Slowakei, ihr Gasversorger SPP habe zehn Prozent geringere Mengen erhalten als vertraglich vereinbart. Der polnische Energieversorger PGNiG sprach von einer Reduzierung um 45 Prozent, nachdem es am Mittwoch bereits ein Defizit von 25 Prozent war. Der russische Konzern Gazprom hat alle Gaslieferungen in die Ukraine seit Juni eingestellt, weil sich Moskau und Kiew über unbezahlte Rechnungen streiten. Die Slowakei und Polen sprangen ein, indem sie das aus Russland erhaltene Gas in die Ukraine weiterleiteten.

Die EU-Kommission will erneut in dem russisch-ukrainischen Gasstreit vermitteln. Man habe beiden Seiten neue Dreiergespräche am 20. September in Berlin vorgeschlagen, sagte die Sprecherin des EU-Energiekommissars Günther Oettinger. Außerdem will die Kommission in der kommenden Woche eine Studie vorlegen, die sich mit den Folgen eines eventuellen Ausfalls russischer Gaslieferungen beschäftigt. Dazu gehöre auch die Prognose für den schlimmsten Fall. "Was wäre, wenn die Ukraine nicht in der Lage oder Willens ist, ihre Lieferungen zu erfüllen? Und was ist, wenn Herr Putin doch den Gashebel als Waffe in dem Konflikt einsetzt?", so Oettinger. Die Europäer hätten sich bereits mit dem Ausbau ihrer Gasspeicher, neuer Terminal für Flüssiggas und interner Transfermöglichkeiten gewappnet.

In einem Telefonat einigten sich unterdessen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef François Hollande und der britische Premier David Cameron, das Hin und Her in der Frage der Umsetzung weiterer Sanktionen beenden zu wollen. Ein möglicher Grund dafür könnten die neuesten Erkenntnisse der Nato sein, wonach sich noch immer rund 1000 russische Soldaten in dem Nachbarland befinden - was dem vereinbarten Friedensplan zuwiderliefe. Kurz vor der gestrigen Sitzung, die schließlich endgültige Klarheit brachte, hatte einer aus dem Kreis der 28 EU-Botschafter noch klare Worte gefunden: "Wir können uns diesen Eiertanz nicht länger leisten, wenn wir nicht unser Gesicht verlieren wollen."

Was war geschehen? Auf Betreiben der Staats- und Regierungschefs, die am 30. August aufgrund der vorliegenden Indizien für eine aktive militärische Rolle Russlands in der Ukraine neue Sanktionen angekündigt hatten, einigten sich deren Brüsseler Botschafter vor Wochenfrist auf ein neues Paket von Strafmaßnahmen. Es erschwert unter anderem den Zugang zu Krediten auf dem europäischen Markt für die großen Ölkonzerne und Rüstungsunternehmen in russischem Staatsbesitz Russlands. Zudem werden der Export militärisch wie zivil nutzbarer Güter zusätzlich eingeschränkt und weitere hochrangige Politiker mit einem Einreiseverbot und Kontensperren belegt. Am Montag dieser Woche formalisierte der Ministerrat den Beschluss im Umlaufverfahren.

So weit alles klar: Allerdings sagten einige Mitgliedstaaten zu diesem Zeitpunkt bereits "Ja, aber", da zwischenzeitlich eine Waffenruhe in der Ukraine vereinbart worden war. "Es geht darum, jetzt nicht den Friedensprozess mit Sanktionen zu zerstören", erläuterte ein EU-Diplomat. Deshalb wurde die Veröffentlichung des Sanktionsbeschlusses im EU-Gesetzesblatt, mit dem er in Kraft tritt, mehrfach hinausgezögert - am Montag, Dienstag und Mittwoch. Ein mit den Vorgängen vertrauter Beamter sagte, dieses Zurückhalten eines Beschlusses sei im europäischen Recht gar nicht vorgesehen: "Die italienische Ratspräsidentschaft hat uns da auf unbekanntes Terrain geführt."

(RP)
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