Brüssel Der Fall Koch-Mehrin

Brüssel · Nach Angaben der Internetseite "VroniPlag" hat die liberale Europa-Politikerin in ihrer Doktorarbeit auf einem Viertel der Seiten abgeschrieben. Die einstige Hoffnungsträgerin der FDP schweigt zu den Vorwürfen.

Silvana Koch-Mehrin vermarktet sich liebend gerne als Vorzeige-Gesicht der Liberalen: Die Vize-Präsidentin des Europaparlaments moderiert eine eigene Fernseh-Show, lässt sich kaum einen Foto-Termin entgehen. Selbst ihren Babybauch stellte sie in Boulevard-Blättern zur Schau. Auf ihrer Internet-Seite lächelt die attraktive Blondine den Nutzer gewinnend und großflächig an. Links daneben prangt in blauen Lettern ihr Name – plus Doktortitel. Letzterer soll dem "Model-Gesicht" das nötige Stück Seriosität und intellektuelles Gewicht verleihen. Mit dieser Mischung avancierte die Zieh-Tochter Guido Westerwelles innerhalb weniger Jahre zur bekanntesten deutschen Europa-Abgeordneten – und zur FDP-Hoffnungsträgerin für die Bundespolitik. Doch nun steht ihr Erfolgsrezept ebenso auf der Kippe wie ihre Karriere. Der Grund: Die 40-Jährige soll ihre 227 Seiten starke Doktorarbeit über die Lateinische Münzunion in großen Teilen abgeschrieben haben. Zu diesem Ergebnis kommen jedenfalls die Plagiats-Jäger der Internet-Seite "VroniPlag". Sie fanden auf 55 von 201 untersuchten Textseiten kopierte Stellen aus 15 verschiedenen Quellen, die "nicht hinreichend als Zitat gekennzeichnet wurden". Seitenweise soll sie abgekupfert haben. "Dies stellt eine eklatante Verletzung wissenschaftlicher Standards dar", lautet das Fazit der anonymen Plagiats-Prüfer in ihrem gestern veröffentlichten Bericht. An Versehen glauben sie nicht, sondern an vorsätzlichen Betrug. Mehr noch: Es stelle sich die Frage, ob die Förderung der Arbeit durch die Friedrich-Naumann-Stiftung mit Mitteln des Wissenschaftsministeriums eine "Zweckentfremdung von Steuergeldern" sei.

Koch-Mehrin selbst schweigt bisher zu den Vorwürfen. Ihr Sprecher verweist auf die laufenden Untersuchungen der Uni Heidelberg. An der dortigen philosophischen Fakultät reichte die Liberale ihre Dissertation 2000 ein – und erhielt die Note "gut" (cum laude). Bis Ende Mai will die Uni nun klären, ob Koch-Mehrin der Doktortitel aberkannt wird.

Für die dreifache Mutter, die mit ihrem irischen Lebensgefährten in Brüssel lebt, kommen die Vorwürfe höchst ungelegen. Denn sie wollte beim Umbau der liberalen Parteispitze eine führende Rolle spielen. Intern wurde sie als mögliche Kandidatin für einen Parteivize-Posten gehandelt. Das Thema hat sich wohl erledigt – zumal die Affäre bis zum Bundesparteitag Mitte Mai in Rostock nicht aufgeklärt sein wird.

Beim politischen Gegner in Brüssel werden schon erste Rücktrittsforderungen laut. "Wenn Frau Koch-Mehrin betrogen hat, ist sie als Vize-Präsidentin des Europaparlaments nicht haltbar", sagte Werner Langen, Chef der Europa-Abgeordneten von CDU/CSU, unserer Zeitung.

Droht der FDP-Aufsteigerin nun ein Fall wie Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU)? Gut möglich. Das wäre auch eine weitere herbe Niederlage für Westerwelle. 2004 machte der FDP-Chef die politisch unerfahrene Firmengründerin überraschend zur "Miss Europa". Sie verkörperte das Ideal-Bild der jungen, hübschen und erfolgreichen Power-Frau, der es bestens gelingt, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Gesicht und Doktortitel der Spitzenkandidatin wurden flächendeckend in der Republik plakatiert. Mit Erfolg. Die Marke "Silvana" verschaffte den Liberalen den Wiedereinzug ins EU-Parlament – nach zehn Jahren Abstinenz. Beim Urnengang im Juni 2009 verbesserte Koch-Mehrin das Ergebnis auf elf Prozent – trotz zahlreicher Berichte über mangelnden Arbeitseifer und geringer Anwesenheits-Quoten im Parlament.

Ihre Beliebtheit an der Basis kontrastiert mit Koch-Mehrins Ruf unter EU-Kollegen. Mit ihrer offensiven Selbstvermarktung hat sie sich viele Feinde gemacht. Ihr Hang zu Populismus und Boulevard-Themen trug ihr den Spitznamen "Klatschspalten-Abgeordnete" ein. Nun muss auch sie sich auf weitere hässliche Debatten gefasst machen. Nach Westerwelles Abgang droht nun auch seiner größten Hoffnungsträgerin der Absturz. Dabei gab Koch-Mehrin gerade erst in einem Interview ihr persönliches Erfolgsrezept für eine stärkere FDP aus. Es heißt: Die Liberalen müssen weiblicher werden.

(RP)
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