Demografischer Wandel Probleme einer alternden Gesellschaft – in Deutschland und Japan
Berlin · In Deutschland überaltert die Gesellschaft – genau wie in Japan. Eine Delegation des Ausschusses für Arbeit ist deshalb dorthin gereist, um die Auswirkungen des demografischen Wandel zu betrachten. Welche Erkenntnisse sie auf der Reise gewonnen haben.
Die deutsche Bevölkerung wird immer älter. Während die Geburtenraten zurückgehen, steigen die Lebenserwartungen. Die Folge: Immer weniger Erwerbstätige müssen in den nächsten Jahren immer mehr Ruheständler versorgen, es entstehen große Lücken auf dem Arbeitsmarkt, Fachkräfte fehlen. Eine Herausforderung für den Arbeitsmarkt – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Japan. Mit einem Durchschnittsalter von 48,7 Jahren ist Japan nach Angaben des Daten-Portals Statista im vergangenen Jahr das Industrieland mit der ältesten Bevölkerung gewesen. Eine Delegation des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales ist deshalb dorthin gereist, um die Auswirkungen und den Umgang mit dem demografischen Wandel zu betrachten. Welche Erkenntnisse haben die Abgeordneten auf der Reise für Deutschland gewonnen?
„Die Probleme ähneln sich in den Industrienationen: Die fehlenden Arbeits- und Fachkräfte sind genauso wie sinkende Sozialversicherungsbeiträge ein großes Problem für die Arbeits- und Sozialpolitik“, sagt der Ausschuss-Vorsitzende Bernd Rützel (SPD) unserer Redaktion. Vor Ort haben er und acht weitere Abgeordnete des Ausschusses Fachgespräche mit Mitgliedern des Ausschusses für Gesundheit, Arbeit und Wohlfahrt des japanischen Unterhauses, mit Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner, mit lokalen Unternehmen, politischen Stiftungen und Experten aus der universitären Forschung geführt.
Trotz ähnlicher Themen gebe es aber einen großen Unterschied: Japan ist Deutschland etliche Jahre voraus. Das Land hat schon jetzt viel unmittelbarer mit den Auswirkungen des demographischen Wandels zu tun, wie der Experte Steffen Heinrich, Vertreter des Lehrstuhls für Politik und Wirtschaft Japans an der Freien Universität Berlin, berichtet.
Was das bedeutet, haben die Abgeordneten bei einem Besuch einer Maschinenfabrik erlebt. Dort haben sie einen Mitarbeiter getroffen, der mit 79 Jahren immer noch 40 Stunden die Woche arbeitet. „Viele müssen das tun, um über die Runden zu kommen, das hat uns alle erschüttert“, so Rützel. Um die Belastung des Rentensystems zu verringern und gleichzeitig den Arbeitskräftemangel abzufedern, wolle die japanische Regierung die Beschäftigung älterer Menschen vom 65. bis zum 70. Lebensjahr stärker fördern.
Trotz alledem leben Japaner laut Heinrich im Schnitt nicht nur länger als Deutsche, sie bleiben auch länger gesund. „Das trägt vielleicht auch dazu bei, dass sich mehr Menschen Erwerbsarbeit jenseits der Pensionsgrenze vorstellen können als dass dies in Europa der Fall ist“, sagt der Experte. Die Gesundheitsförderung sei ein wichtiger Punkt, der beide Länder eine. Denn dass Beschäftigte länger gesund und zufrieden arbeiten können, sei auch in Deutschland ein anzustrebendes Ziel. „Gesundheitliche Präventionsmaßnahmen nutzen so den Menschen, führen aber auch dazu, dass uns Arbeits- und Fachkräfte länger erhalten bleiben“, so Axel Knoerig (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Arbeitsausschusses.
Gleichzeitig versuche Japan durch Digitalisierung dem Arbeits- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Knoerig berichtet von einem Projekt in Tokio, das die Delegation bei ihrem Aufenthalt besucht hat: Hierbei wurden Menschen in einem Café von Robotern bedient. Diese wurden wiederum von Menschen gesteuert, die nicht mehr am regulären Arbeitsleben teilnehmen können, weil sie durch eine schwere Krankheit oder einen Unfall behindert sind. Ein „vielversprechendes Projekt“, wie Knoerig sagt. Aber: „Alleine auf Robotik zu setzen, reicht nicht aus, um den immensen Arbeitskräftebedarf zu decken“, ergänzt er. Zudem sehe er einen deutlichen Nachholbedarf bei der Digitalisierung. „Im Digital-Ranking liegt Japan hinter Deutschland“, so der Abgeordnete.
Inwiefern kann ein Vergleich mit Japan auf der Suche nach Lösungen im Umgang mit dem demographischen Wandel dann überhaupt beitragen? „Selbst wenn sich viele Rahmenbedingungen unterscheiden, kann es aufschlussreich sein zu sehen, wie anderen Ländern mit Problemen umgehen, beziehungsweise welche weiteren Folgen sich ergeben, die man vorher nicht abgesehen hat“, so Heinrich.
Mit Blick auf Japan, wo der demographische Wandel bereits fortgeschritten ist und vergleichbare Probleme bewältigt werden müssen, könnten Szenarien studiert werden, die Deutschland womöglich auch bevorstehen. Auch Rützel betont die „gleiche Richtung“, in die sowohl Japan als auch Deutschland denken müssten: „Das Wichtigste ist, tatsächlich Maßnahmen zu ergreifen und nicht vor vermeintlichen oder wirklichen Nebenwirkungen zurückzuschrecken.“
Dem Experten Heinrich zufolge lassen sich außerdem auch positive Entwicklungen beobachten, wenn man die Überalterung als Prozess verstehe. Zum Beispiel zeige Japan, dass junge Menschen sehr stark vom Arbeitskräftemangel profitieren, während sie bis vor wenigen Jahren die Hauptleidtragenden der wirtschaftlichen Stagnation waren.