Wladimir Putin Der Demokratiefresser

Moskau · Einst betrachtete der Westen Wladimir Putin als Hoffnung für ein neues, dynamisches Russland. Gerhard Schröders Urteil, sein Duz-Freund sei ein "lupenreiner Demokrat", erwies sich schnell als bizarre Fehleinschätzung. Denn das positive Bild, das sich der Westen einst machte, entsprach nie der Realität.

 Russland Präsident Wladimir Putin während einer Pressekonferenz Ende August.

Russland Präsident Wladimir Putin während einer Pressekonferenz Ende August.

Foto: dpa, az ms

Trotzdem versuchten gerade die Deutschen lange Zeit, sich Putin schönzureden. Man wollte daran glauben, dass zwischen Deutschland und Russland eine unverbrüchliche Freundschaft möglich sei. Und dass sich Russland - bei allen Rückfällen - langsam westlichen Werten annäherte. Jetzt nehmen viele die rosarote Brille ab und wundern sich.

Keine Lüge ist Putin zu dreist, keine Erklärung zu hanebüchen, um die russische Aggression in der Ukraine zu rechtfertigen. Zum Ziel des eigenen Machterhalts ist er bereit, den Frieden in Europa zu gefährden. Hochrangige westliche Diplomaten in Moskau haben für den Kurs des Kremls nur ein Wort: unberechenbar. Mehr als 14 Jahre nach seiner Amtsübernahme rätselt die Welt genauso wie damals die US-Journalistin Trudy Rubin: "Who is Mr. Putin?"

Putin schottet sich immer mehr ab

Der Kremlherr selbst schottet sich seit Beginn des Ukraine-Konflikts immer stärker ab. Früher sei es üblich gewesen, dass sich die Präsidialadministration bei wichtigen Angelegenheiten mit Experten beriet, sagt der Moskauer Politologe Jewgeni Mintschenko, der sich mit der Machtelite beschäftigt. Seit Beginn des Jahres, als die Ereignisse in der Ukraine eskalierten, gebe es diese Konsultationen nicht mehr.

Über Fragen wie die Annexion der Krim oder die militärische Einmischung in der Ost-Ukraine entscheidet nun ein kleiner Zirkel von Putin-Beratern, von denen die meisten Geheimdienstvergangenheit haben. Der Präsident, der das Internet nur selten nutzt, liebt seine Information kurz und übersichtlich: Wie der britische "Guardian" von Kreml-Insidern in Erfahrung brachte, haben Putins Helfer seit kurzem Anweisung, Berichte so vorzulegen, dass sie bei einer überdimensionierten Schriftgröße nicht mehr als drei Seiten umfassen. Das vereinfacht die Sicht auf die Themen.

Überkommenes Denksystem

"Putin hat die Fähigkeit, sich selbst vollkommen von Dingen zu überzeugen, die er gerne glauben möchte", sagt der Moskauer Journalist Arkadi Dubnow, der den Präsidenten aus Diskussionsrunden kennt. In Russland lautet ein geflügeltes Wort über Geheimdienstagenten: "Ehemalige gibt es nicht." Als einstiger KGB-Mann hält Putin an einem überkommenen Denksystem fest, so realitätsfern es auch sein mag.

Dazu gehört die Überzeugung, dass Demonstrationen und erst recht Revolutionen nicht daraus resultieren, dass eine kritische Masse es will. Unmutsbekundungen dieser Art, so Putins Logik, sind immer von außerhalb gesteuert. Als 100.000 Russen 2011 gegen gefälschte Duma-Wahlen auf die Straße gingen, beschuldigte Putin das US-Außenministerium, die Demonstranten zu bezahlen.

Hohn für Studenten

"Gut, das sind Studenten, sollen sie sich etwas dazuverdienen", verhöhnte er die Unzufriedenen. Auch bei der Maidan-Revolution, so die Lesart des Kremls, haben die Amerikaner die Demonstranten bezahlt. Eine abstruse Vorstellung: In Kiew waren monatelang bis zu einer halben Million Menschen auf der Straße.

Schon bei der Sicherheitskonferenz in München im Februar 2007 zeigte Putin, wie sehr er im Freund-Feind-Schema des Kalten Krieges gefangen ist. Seine Rede war ein Frontalangriff gegen die USA. Moskau dulde Amerika nicht als einzige Weltmacht. "Wir sind Zeuge einer ungezügelten Macht, die die Regeln des Völkerrechts verachtet."

Putin kann Freiheit nicht zulassen

Der Ukraine-Konflikt hatte seinen Ursprung im Streit, ob das Land ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen solle oder nicht. Für die Ukrainer wurde daraus ein Kampf um Freiheit und Demokratie ohne Korruption und Despotie wie in Russland. Das konnte Putin nicht zulassen. In der Logik seiner Münchner Rede war es das Werk der Amerikaner und der Nato, die in den russischen Hegemonialbereich vordringen wollen. Mit diesem Argument verteidigte Putin auch die Annexion der Krim.

Den Westen sollte es beunruhigen, dass eine überwältigende Mehrheit der Russen offenbar genauso denkt wie ihr Präsident. Nach einer Umfrage des unabhängigen Levada-Zentrums unterstützten im August 87 Prozent die Handlungen des Kremlchefs. Nur einmal wurde jüngst Kritik an Putin laut. Als er bei seiner Live-Fernsehshow gefragt wurde, ob er nicht wieder heiraten wolle, antwortete er: "Erstmal muss ich meine Ex-Gattin Ljudmila wieder unter die Haube bringen." Der paternalistische und verächtliche Ton missfiel vielen Russinnen.

Aber er sagt viel über den Menschen Wladimir Putin aus.

(RP)
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