Armut in Deutschland Armut macht krank

Serie | Düsseldorf · Statistiken zeigen einen Zusammenhang zwischen Einkommen und der Gefahr, früher im Leben chronisch zu erkranken. Das hat medizinische Gründe – und soziale.

 Menschen mit niedrigem Einkommen leben unter schlechteren Bedingungen und werden häufiger krank.

Menschen mit niedrigem Einkommen leben unter schlechteren Bedingungen und werden häufiger krank.

Foto: dpa/Armin Weigel

Menschen mit niedrigem Sozialstatus sind vermehrt von chronischen Krankheiten, psychosomatischen Beschwerden, Unfallverletzungen sowie Behinderungen betroffen. Sie schätzen ihre eigene Gesundheit schlechter ein und berichten häufiger von gesundheitlichen Einschränkungen im Alltag. Das zeigen Studien, die unter anderem am Robert-Koch-Institut zusammengetragen und ausgewertet werden. Laut Daten des Sozio-oekonomischen Panels von den 1990er Jahren bis 2016 sterben 13 Prozent der Frauen und 27 Prozent der Männer aus der niedrigsten Einkommensgruppe bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres, während dies in der höchsten Einkommensgruppe lediglich auf acht Prozent der Frauen und 14 Prozent der Männer zutrifft. Bezogen auf die mittlere Lebenserwartung bei Geburt beträgt die Differenz zwischen der niedrigsten und höchsten Einkommensgruppe bei Frauen 4,4 Jahre und bei Männern 8,6 Jahre. Die statistischen Befunde sind also eindeutig: Armut macht krank.

Allerdings verfügt Deutschland über eines der bestausgestatteten Gesundheitssysteme weltweit, zu dem in der Regel auch Menschen mit niedrigem Einkommen Zugang haben. Dass sich die wirtschaftliche Lage von Menschen trotzdem so deutlich auf ihren Gesundheitszustand und sogar auf ihre Lebenserwartung auswirkt, hat vielfältige Gründe. „Armut macht krank, weil die mit Armut verbundenen Lebensbedingungen häufig zu Belastungen führen, die Krankheiten verursachen“, sagt der Medizinsoziologe Nico Dragano von der Uniklinik Düsseldorf. Herzinfarkte treffen Menschen mit geringem Einkommen etwa deutlich häufiger, ähnlich ist es bei Diabetes oder Übergewicht oder  bei bestimmten Krebserkrankungen wie Lungenkrebs. Im Bereich der psychischen Erkrankungen zeichnet sich ein Zusammenhang zum Einkommen bei  Depression oder Angststörungen ab. 

Menschen haben schlicht schlechteren Zugang zu gesunden Lebensbedingungen, etwa zu einer großen, gesunden Wohnung. Sie haben belastendere Jobs, weniger Freizeit oder weniger Möglichkeiten in ihrer Freizeit,  sich zu erholen. Außerdem sei es  psychisch belastend, arm zu sein, sagt Dragano. Kinder aus armen Familien können an vielen Aktivitäten nicht teilnehmen, beim Konsum ihrer Mitschüler nicht mithalten und auch für die Erwachsenen sei es anstrengender, ein Leben am Existenzminimum zu organisieren.

 Hinzu kommen ungesunde Verhaltensweisen, die in einkommensschwachen Schichten häufiger vorkommen, etwa Rauchen oder ungesundes Essverhalten. „Entscheidend ist, dass alle Faktoren bei armen Menschen zusammenwirken und sich im Laufe ihres Lebens verstärken“, sagt Dragano. Darum könne man das Problem nicht rein medizinisch angehen, sondern müsse auch auf sozialer Ebene aktiv werden, Bildungschancen verbessern, Armutsbiografien durchbrechen. „Auch die Kommunen können etwas tun, beispielsweise wenn sie neue Wohnviertel planen und dabei auf soziale Durchmischung und gesundheitsförderliche Wohnbedingungen achten. Alleine können sie das Problem aber nicht lösen, hier müssen alle politischen Ebenen und alle Ressorts zusammenarbeiten“,  sagt Dragano. In den vergangenen Jahrzehnten wurde da nur wenig erreicht,  das Gesundheitsrisiko armer Menschen ist eher gestiegen. Die Krankheitsstatistiken sind somit ein eindrücklicher Indikator für die soziale Ungleichheit in Deutschland.

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