Bakio Das Zögern der Basken

Bakio · Viele Basken zeigen sich solidarisch mit den katalanischen Separatisten. Aber zugleich ist die Sorge groß, dass der Konflikt alte Wunden aufreißen könnte.

Zelai Nikolas Ezkurdia träumt von einer Kakophonie von Kochtöpfen. Die Basken sollen so laut mit Löffeln auf Töpfe und Pfannen schlagen, dass der Protest in Madrid nicht zu überhören ist, sagt sie. Doch in Bakio an der Biskaya unweit von Ezkurdias Wohnort ist an diesem Abend nur das leise Gurgeln des Atlantiks in der Bucht zu hören. Ezkurdia sitzt bei einer Tasse Tee in der örtlichen Pizzeria "La Parra". Die zierliche 49-Jährige trägt einen Seidenschal über den Schultern. Wer sich eine baskische Separatistin in Guerilla-Uniform vorstellt, dürfte enttäuscht sein.

Ezkurdias Organisation Gur Esku Dago ("Es liegt in unseren Händen") organisiert seit Beginn der Krise in Katalonien vor einigen Wochen Solidaritätskundgebungen im Baskenland und ruft zum abendlichen Topfschlagen, den Caceroladas, auf. Tausende Basken gehen dann auf die Straße, um ihre Verbundenheit mit den Katalanen zu zeigen. Ministerpräsident Mariano Rajoy in Madrid dürfte das freilich nur wenig imponieren. Es sind keine Massendemonstrationen. Die Angst, sich politisch zu äußern und das auch noch der Öffentlichkeit zu zeigen, sitze tief in den Köpfen der Basken, meint die Aktivistin. Abends auf Töpfe zu schlagen, sei für viele nach Jahrzehnten der Gewalt schon ziemlich mutig, findet sie.

Doch nicht nur die Bevölkerung wisse derzeit nicht, wie viel sie riskieren soll, um den Katalanen ihre Unterstützung zu zeigen, sagt Ezkurdia. Auch die von der separatistischen Partei EH-Bildu tolerierte baskische Regierung der bürgerlich-nationalistischen PNV könne derzeit nicht abschätzen, wie weit sie gehen könne, meint Ezkurdia. Sicher, es habe die Drohung des baskischen Ministerpräsidenten Iñigo Urkullu Rentería gegeben, der konservativen Minderheitsregierung von Rajoy die Zustimmung zum Haushalt des kommenden Jahres zu verweigern, sollte es zu keiner politischen Lösung mit Katalonien kommen. Ansonsten halte sich die Regierung der Autonomen Gemeinschaft Baskenland aber sehr zurück, sagt Ezkurdia. "Ich glaube, sie haben Angst, dass sie die nächsten sind, gegen die Madrid vorgeht, sollten sie auch nur irgendeinen Grund dafür liefern", sagt Ezkurdia.

Die Sorge, dass die katalanische Krise auf das Baskenland übergreife, sei bei den Solidaritätskundgebungen ihrer Organisation mit den Händen zu greifen, sagt Ezkurdia. Allerdings gehe es nicht darum, dass die Basken auf den katalanischen Unabhängigkeitszug aufspringen wollten. Vielmehr gehe die Angst um, dass Madrid nun zum Angriff auf jede Form der Dezentralisierung in Spanien blasen könnte. Dass nach Katalonien dann das Baskenland an der Reihe sei, steht für Ezkurdia fest. Katalanen und Basken - sie spricht immer nur von einem "wir". Den Rest von Spanien bezeichnet sie als "sie".

Und dann beginnt Ezkurdia vom Bürgerkrieg zu sprechen. "Als unsere autonome Republik am Boden lag nach der Zerstörung von Guernica 1937 durch die deutsche Luftwaffe, sind unsere Kämpfer nach Katalonien gezogen, um dort gegen den Feind zu kämpfen", sagt sie . Ihr Großvater sei damals Teil der baskischen autonomen Regierung gewesen. Die Familie war nach dem Sieg der Franco-Truppen bis zum Tod des Diktators 1975 geächtet, erzählt sie. Die Missachtung baskischer Opfer habe aus ihrer Sicht auch mit der demokratischen Verfassung Spaniens 1978 kein Ende gefunden. "Diejenigen, die unter der Eta gelitten haben, erhalten Entschädigung, diejenigen, die von der Gal ermordet oder gefoltert worden sind, bekommen nicht einmal eine Anerkennung", sagt Ezkurdia. Gal - Grupos Antiterroristas de Liberación - drei Buchstaben, die wie Eta für ein Trauma der jüngeren baskischen Geschichte. Die verdeckt agierenden paramilitärischen Einheiten jagten, folterten und ermordeten von 1983 bis 1987 Dutzende von tatsächlichen oder vermeintlichen Eta-Mitgliedern. Sie nahmen in ihrem schmutzigen Krieg auch mutmaßliche Sympathisanten der Eta ins Visier. Die damalige sozialistische Regierung von Felipe González muss die Tätigkeiten der Gal damals zumindest gebilligt haben, glauben Historiker heute.

Die Katalanen seien lange naiv gewesen in ihrer Sicht auf den spanischen Staat, sagt Ezkurdia. Rajoys Ankündigung, Verhandlungen für eine Verfassungsreform seien denkbar, hält sie für einen Trick. "Unsere Regierung hat 2010 mit dem Plan Ibarretxe schon einmal einen Plan vorgelegt, wie eine Autonome Gemeinschaft innerhalb Spaniens ihren Wunsch nach mehr Eigenständigkeit realisieren könnte. Das hat Madrid abgelehnt. Über was wollen sie mit den Katalanen und mit uns denn verhandeln?", fragt die Aktivistin. Hoffnung gebe es nur, wenn die internationale Gemeinschaft und die EU eingreifen würden. Ziel könnte eine lockere Konföderation anstelle des heutigen Nationalstaats sein. "Wir sind bereit, über diese Dinge zu verhandeln, aber nicht mit einem Staat, der jederzeit laut Verfassung seine Armee schicken kann. Das müssen sie ändern", sagt sie.

Die schicke Promenade von San Sebastián hat offiziell einen Doppelnamen. So wie in Nordirland die Katholiken ein- und dieselbe Stadt Derry nennen, die Protestanten aber Londonderry, heißt San Sebastián für patriotische Basken Donostia. So steht es auf den Straßenschildern. Hinter dem baskischen Namen folgt mit einem Bindestrich der auch im Ausland geläufige spanische Name der Stadt. Unweit der Kathedrale reibt sich der 42-jährige Urtzi Errazkin den Schlaf aus den Augen. Sein Mitstreiter Naike Diez bestellt ihm einen doppelten Cortado. Er ist 16 Jahre jünger als Errazkin, aber wie er ist er Mitglied der Organisation Etxerat. Der baskische Name bedeutet "heimwärts" und beschreibt, was die Aktivisten sich wünschen. Sie alle haben Familienangehörige in spanischen oder französischen Gefängnissen. Die einen wurden wie Errazkins jüngerer Bruder Ugaitz als Mitglieder von Eta verhaftet. Die anderen hatten sich wie der Vater von Naike Diez in inzwischen verbotenen Organisationen oder Parteien wie Herri Batasuna engagiert. Errazkin war erst gestern bei seinem Bruder im Gefängnis. Zu all seinen Sorgen kommt nun die Ahnung, dass die Katalonienkrise seine und die Lage aller anderen Angehörigen von Eta-Gefangenen weiter verschlechtern könnte.

Der Schweizer UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, hat in diesem Jahr den Umgang mit Eta-Häftlingen gerügt. Während Großbritannien nach dem Karfreitagsabkommen 1998 Amnestien für IRA-Kämpfer erlassen und den ehemaligen Feind in Form der Sinn-Féin-Partei sogar an der Macht in Belfast beteiligt habe, hat es einen vergleichbaren Prozess im Baskenland nie gegeben. Die ETA legte ihren Waffen nieder, ohne dass Madrid sich im Gegenzug für Gespräche offen zeigte. "Ich will nicht schönreden, was mein Bruder getan hat. Aber Frieden muss man doch mit seinen Feinden schließen", meint der Baske.

Die größte Stadt des Baskenlandes, Bilbao, hat einen großen Hafen. Das Hotel Ercilla liegt in der Nähe des zentralen Platzes. Josu Puelles betritt die Lobby im offenen Jeanshemd und Sportschuhen. Der Polizist genehmigt sich ein Bier nach Feierabend. Als müsste er seine Zunge lockern, bevor er erzählt, wie sein Bruder Eduardo am 19. Juni 2009 in seinem Auto verbrannte. Es war die letzte Autobombe der Eta, die den 39-Jährigen tötete. Was Puelles damals fühlte, was er heute empfindet, er kann oder will es nicht verraten. Vielmehr bezeichnet er sich als normalen Menschen aus einer normalen Familie, der Terroristen eben Schreckliches angetan hätten. "Nichts Ungewöhnliches hier", sagt Puelles.

Als Vizepräsident des Eta-Opferverbandes Covite setzt er sich unter anderem dafür ein, dass es für die Verwandten von Naike Diez und Urtzi Errazkin niemals Strafmilderungen geben wird. Denn das Gift der Eta zersetze die baskische Gesellschaft bis heute, sagt er. "Zur Eta gehören nicht nur die bewaffneten Kriminellen. Gehen Sie bei uns aufs Land, da gibt es Dörfer, da traut sich immer noch keiner bei Wahlen für eine nichtnationalistische Partei anzutreten. Da werden die Mörder gefeiert", sagt Puelles. Die baskische Gesellschaft stünde am Anfang einer Selbstreinigung, und dafür bedürfe es einer harten Hand, sagt der Polizist. Diejenigen, die zuerst im Baskenland und nun in Katalonien das Recht in die eigenen Hände nehmen, müssten ihre Grenzen aufgezeigt bekommen, sagt er. "Warum sollte es ein Problem sein, wenn die Armee diejenigen in Katalonien schützt, die zur Verfassung stehen? Das hat sie ja im Baskenland mit Erfolg auch getan", sagt Puelles.

(RP)
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