Analyse Das Weltkrisenzentrum

Berlin · Deutschland setzt nun verstärkt darauf, die Fluchtursachen im Nahen Osten zu beseitigen. Doch die Bundesregierung trifft auf eine Region, die von Hass zerfressen, von Religionskonflikten zerrissen und von brutalen Kämpfen um Einfluss und Vormacht geprägt wird.

So entstand der Name der Terrormiliz Islamischer Staat (IS)
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Foto: ap

Um der Flüchtlingsdynamik Herr zu werden, will die Bundesregierung auch die Fluchtursachen im Nahen Osten verstärkt angehen. Doch die Menschen flüchten nicht, weil sie etwa Angst vor der vielzitierten Zeitbombe in ihrer Region hätten. Sie machen sich auf den Weg, weil viele Länder längst in Chaos und Gewalt versunken sind. Die brutalen Terrormilizen des Islamischen Staates wüten außer im Irak und in Syrien nun auch in Libyen, aber auch sie sind nur ein Teil der sogenannten "Ursachen".

Jahrzehntelang hatte sich die Welt daran gewöhnt, unter dem "Nahostkonflikt" allein die israelisch-palästinensische Auseinandersetzung zu verstehen. Die Annahme: Wenn es gelingt, diesen Konflikt einzufrieren, dann aufzulösen, die Feinde gar zur Aussöhnung zu bringen, glätten sich wie von Zauberhand auch die übrigen Verwerfungen in der Region. Die Wirklichkeit hat sich indes gedreht: Zwar können die Scharfmacher sowohl auf israelischer wie auf palästinensischer Seite jederzeit wieder blutige Eskalationen bewirken, doch verglichen mit den Kämpfen im Irak oder in Syrien ist die Situation in Israel und Palästina geradezu erholsam stabil.

Zum Chaos im Nahen und Mittleren Osten haben westliche Interventionen und arabische Freiheitsbewegungen beigetragen. Regimesturz und Machtvakuum bildeten sowohl im Irak wie in Libyen den Nährboden für islamistischen Extremismus und Terrorismus. Auch die naive Idee, in Syrien sei das Assad-Regime "böse" und die bewaffnete Opposition "gut", begünstigte die fatale Entwicklung zu einem Bürgerkrieg mit über 200 000 Toten.

In diesen Ländern gibt es gefährliche IS-Ableger
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In diesen Ländern gibt es gefährliche IS-Ableger

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Vor allem stehen dahinter knallharte Einflussinteressen. Russland will im nahöstlichen Machtspiel weiterhin wichtiger Akteur bleiben und beliefert Assads Truppen massiv mit Nachschub. Der Iran will seinen Einfluss auf Syrien behalten und den Kontakt zu der Hisbollah im Libanon nicht verlieren, die deshalb ebenfalls in den syrischen Bürgerkrieg geschickt wurde. Saudi-Arabien dagegen versucht, die schiitische Vorherrschaft zurückzudrängen, schottet sich jedoch zugleich gegen syrische Flüchtlinge ab. Diese könnten den Funken des Aufstandes ins Land bringen und das autokratische Regime genau so gefährden, wie dies in Syrien geschah. Zusätzliche Sprengkraft entstand, weil der religiöse Gegensatz zwischen Schiiten und Sunniten als weitere Dimension in den Konflikt einbrach.

Zudem bekriegen sich nun auch die Terror-Netzwerke selbst. Ursprünglich als Ableger von Al Qaida im Irak im Kampf gegen die US-Besatzer entstanden, entwickelte die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) immer größere Eigenständigkeit und gilt für immer mehr islamistische Gruppen in der arabischen und afrikanischen Welt mittlerweile als attraktive Alternative zu Al Qaida. Deren syrische Variante Al Nusra ist inzwischen Hauptgegner des IS in Syrien, obwohl sie ursprünglich Seite an Seite standen.

Zusätzlich kompliziert wird die Lage durch innenpolitische Motive der Türkei. Die regierende Wohlfahrtspartei sah sich durch das Erstarken der Kurdenpartei HDP um die komfortable Mehrheit gebracht. Nun bekämpft Ankara die kurdische PKK und deren syrische Verbündete YPG nicht nur im Rahmen von Luftschlägen gegen den IS, sondern auch mit einer Bodenoffensive in Syrien selbst.

Chronologie des Aufstiegs des IS im Irak
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Damit unterstützt die Anti-IS-Koalition unter Führung der USA einerseits die Kurden im Kampf gegen den IS, zugleich werden sie bekämpft vom Koalitionsmitglied Türkei. Wer traut sich in dieser Gemengelage zu, überhaupt noch Strategien zur Verkleinerung der "Fluchtursachen" zu konstruieren, geschweige denn, diese auch noch umzusetzen?

Längst werden weitere Länder zwar nicht von den blutigen Konflikten selbst, aber von den dadurch ausgelösten Fluchtbewegungen destabilisiert. Auf mehr als eine Million syrische Flüchtlinge kommen sowohl Jordanien als auch der Libanon. Hoch gerechnet auf Deutschland würde das bedeuten, dass hierzulande zwölf Millionen Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen wären, und das von einer obendrein angeschlagenen Volkswirtschaft.

Der einzige Lichtblick ist eher zwielichtig: Im Iran-Atom-Konflikt gelang es dem Westen, Russland für eine Lösung ins Boot zu holen. Israel indes argwöhnt, damit wolle Teheran nur kaschieren, dass es in Wirklichkeit auf den finalen Krieg im Nahen Osten zusteuere.

(may-)
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