Analyse Das schwere Erbe der Balkan-Kriege

Berlin · Auf ihrer Balkan-Reise ist Angela Merkel gestern Abend in Serbiens Hauptstadt Belgrad eingetroffen. Für zwei Tage reist sie auch nach Albanien und Bosnien. 20 Jahre nach dem Massaker an mehr als 8000 bosnischen Muslimen trifft die Kanzlerin heute die "Mütter von Srebrenica".

Inmitten der Griechenland-Krise reist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf den Balkan. Die Turbulenzen um den Euro verstellen seit Jahren den Blick darauf, dass die Staaten des ehemaligen Vielvölkerstaates Jugoslawien die eigentlichen Sorgenkinder Europas sind.

Die Folgen der Balkan-Kriege Anfang der 90er Jahre wirken bis heute nach. Die ethnischen Konflikte sind längst nicht alle befriedet. Vor 20 Jahren am 11. Juli töteten bosnische Serben im Massaker von Srebrenica mehr als 8000 bosnische Muslime, auch Kinder und Greise waren unter den Opfern. Es war ein Genozid, der als solcher bislang von der serbischen Regierung nicht anerkannt wird. Srebrenica gilt als schlimmstes Kriegsverbrechen in Europa seit den Gräueltaten der Nazis im Zweiten Weltkrieg. Die niederländischen Schutztruppe der UN, die Blauhelmsoldaten, konnte das Massaker damals nicht verhindern.

Für Joschka Fischer, der von 1998 bis 2005 Außenminister war, wurde Srebrenica zum Argument, seine Partei die Grünen vom Pazifismus abzubringen. Die damalige rot-grüne Bundesregierung verantwortete daraufhin den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr im Ausland.

Anders als in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den vom Krieg betroffenen Balkan-Staaten kein Wirtschaftswunder. Auch heute noch sind diese Staaten die ärmsten Länder Europas. Daher kommt die Kanzlerin nicht nur zum Gedenken, sondern auch um Wirtschaftsgespräche zu führen und die Hoffnung auf einen EU-Beitritt in Zukunft wachzuhalten. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg: In Albanien, Serbien und Bosnien-Herzegowina verdienen die Menschen einen Durchschnittslohn von rund 400 Euro. Je nach Landstrich sind 20 bis 60 Prozent der Bevölkerung arbeitslos.

Offizielle Beitrittskandidaten für die EU sind bislang Serbien und Albanien. Doch selbst von dort kommen Armutsflüchtlinge nach Deutschland, die hierzulande Asyl beantragen. Die Ablehnungsquote der Asylbewerber vom Balkan liegt allerdings bei mehr als 99 Prozent, da es dort keine politische Verfolgung gibt. Während Serbien und Bosnien-Herzegowina bereits als sichere Herkunftsstaaten gelten, trifft dies auf Albanien noch nicht zu. Die Union fordert deshalb, dass Albanien ebenso wie der Kosovo und Montenegro in die Liste der sicheren Staaten aufgenommen wird. Bislang scheitert dies am rot-grün dominierten Bundesrat. Die Verfahren von Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsländern können sehr viel schneller bearbeitet werden.

Die Kanzlerin landete gestern in Albanien zur deutsch-albanischen Wirtschaftskonferenz. Merkel betonte nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Emi Rama, dass die EU-Beitrittsperspektive wichtig sei für Frieden und Stabilität auf dem Balkan.

Doch Frieden und Stabilität finden sich in den drei Ländern, die Merkel in zwei Tagen besucht, kaum. Albanien ist bettelarm und hat mit organisierter Kriminalität und Korruption zu kämpfen. Bosnien-Herzegowina, wohin Merkel noch am Abend flog, wird weiterhin durch Unabhängigkeitsbestrebungen der Anhänger einer "Serben-Republik" destabilisiert. Das Land hat etwa so viele Einwohner wie Berlin, ist von der Fläche her kleiner als Bayern und droht nun weiter zu zersplittern. Am Tag vor dem Besuch der Kanzlerin leiteten die Serben-Republik-Anhänger neue Schritte ein, um Bosnien-Herzegowina zu schwächen. Sie wollen sich Serbien anschließen.

In diesem Land wiederum schwelt der Konflikt mit dem Kosovo. Dort leben überwiegend Albaner. Immer wieder kommt es zu öffentlichen Auseinandersetzungen mit der serbischen Minderheit.

International isoliert sind die Serben in der Frage, wie sie zum Massaker von Srebrenica stehen. Bislang sind sie nicht bereit, das Massaker als Völkermord zu benennen, was von internationalen Gerichten aber so klassifiziert wurde. Es gibt nur kleine Schritte: Im März nahm Serbien erstmals sieben Männer fest, die in führender Position an dem Massenmord beteiligt gewesen sein sollen. Seit den Geschehnissen konnten sie unbehelligt in Serbien leben. Ihnen soll nun der Prozess gemacht werden. Der serbische Regierungschef Aleksandar Vucic kündigte immerhin an, an der Gedenkfeier zum 20. Jahrestag des Völkermordes in Srebrenica teilzunehmen. Bundeskanzlerin Merkel wird sich heute Nachmittag vor ihrem Rückflug nach Berlin mit Vertreterinnen der "Mütter von Srebrenica" treffen.

(RP)
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