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Düsseldorf Das sagen Griechen in NRW

Düsseldorf · Die Freundschaft zwischen Deutschland und Hellas bröckelt. Das treibt auch die Griechen um, die in unserer Region leben.

Vieles hängt von diesem Treffen ab. Man wolle nicht nur reden, sondern auch diskutieren, hat Angela Merkel im Vorfeld gesagt. Grund für Diskussionen gibt es allemal, wenn der griechische Premier Alexis Tsipras heute nach Berlin reist. Merkel weiß, was sie von Tsipras will: Der Syriza-Chef soll endlich erklären, wie er sich die Zukunft Griechenlands vorstellt. Es gilt, mit Reformen zu beginnen, die der neuen Regierung allerdings zum Teil ein Dorn im Auge sind. Denn sie widersprächen einer Politik ohne rigiden Sparkurs, die Syriza im Wahlkampf versprochen hat. Was kann man sich also von dem Treffen versprechen?

"Ich hoffe, Tsipras wird Merkel und den Deutschen zeigen, dass wir Griechen Freunde und keine Feinde sind", sagt Giannis Giannakopoulos. Im Arztzimmer der Station A 2 des St.-Vinzenz-Krankenhauses in Düsseldorf gestikuliert der 30-jährige Unfallchirurg wild, wenn er über das Treffen spricht. Zu viel steht auf dem Spiel. Zahlt Athen zu spät, drohen erneute Bankenkrisen, das Ausscheiden aus dem Euro, humanitärer Notstand in Griechenland. "Es geht nicht mehr ums Leben, sondern ums Überleben", sagt Giannakopoulos.

Die Lage in Griechenland sei seit Beginn der Schuldenkrise erschütternd. Giannakopoulos hat in Patras studiert, einer Hafenstadt im Westen des Landes. Zu Beginn der Krise kam er nach Deutschland. Heute gebe es an der Universität in Patras oft kein Lehrmaterial mehr - zu teuer. Familien könnten im Winter nicht heizen, weil sie sich im Sommer das Öl nicht leisten konnten. Renten würden nicht mehr gezahlt oder nur verspätet. Extraschichten, etwa im Krankenhaus, würden meist gar nicht bezahlt. Junge Ärzte verdienten in Athen gerade einmal gut 1000 Euro im Monat. "Und dabei ist Athen wie Düsseldorf", sagt Giannakopoulos. Die Lebenshaltungskosten lägen sogar über denen der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. "Viele meiner Freunde sind arbeitslos", sagt Giannakopoulos. Er fuchtelt wieder mit den Armen. Die Griechen seien voller Temperament und trotzdem geduldig gegenüber den harten Sparmaßnahmen.

Diejenigen, die eine Stelle haben, kommen trotzdem nicht immer damit aus. "Mein Bruder hat schon drei Jobs gleichzeitig ausgeübt, ohne dass die Gehälter zusammen 500 Euro überschritten haben", sagt Theofanis Lappas (35), Vorsteher der griechisch-orthodoxen Gemeinde "Heiliger Apostel Andreas" in Düsseldorf. Nur in den Provinzen komme man noch verhältnismäßig leicht über die Runden.

"Doch irgendwann geht es nicht mehr", sagt Catherine Yannidakis-Hahne (65), Lehrerin für Geschichte und Politik am Düsseldorfer Leibniz-Montessori-Gymnasium. Hoffnung war in den vergangenen Jahren die treibende Kraft der Griechen. Nun ist sie einer Form der Rebellion gewichen. Genau das ist auch der Grund, warum seit der Parlamentswahl im Januar in Griechenland zwei radikale Parteien eine Koalitionsregierung bilden - die sozialistische Syriza und die rechtspopulistischen "Unabhängigen Griechen". Das Volk wolle, dass sich etwas ändert. Geduld und Hoffnung ernähren kein Kind. "Doch auch die neue Regierung braucht Zeit", sagt Yannidakis-Hahne. Viele unerfahrene Politiker säßen derzeit im Parlament, was aber nicht heiße, dass sie schlecht seien.

Auf dem Pult im Klassenzimmer im dritten Stock liegt eine Ausgabe der Rheinischen Post. Die Seite, auf der es um Giannis Varoufakis' Stinkefinger-Skandal geht, ist aufgeschlagen. Catherine Yannidakis-Hahne tippt auf das Foto. "Ich halte Varoufakis für einen begabten Ökonomen." Nur weil der griechische Finanzminister nicht mit Schlips Politik mache und bei seinen Reden nicht über jeden Satz zweimal nachdenke, sei er kein schlechter Politiker. Das müssten die Deutschen verstehen. "Griechische Politiker sind oft viel näher am Volk als deutsche", sagt Yannidakis-Hahne. Die Forderung nach Reparationen hingegen sei zum jetzigen Zeitpunkt schlichtweg kontraproduktiv. Das wirke so, als wolle Griechenland Rache nehmen - nach dem Motto: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

"Das Thema der Reparationen sollte nicht im Rahmen der Finanzkrise angesprochen werden", findet auch Ioanna Zacharaki (51), Referentin für Integration und Interkulturalität bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Ihre Familie war damals direkt betroffen. "Die Dörfer in der Region, aus der ich komme, sind von der deutschen Wehrmacht zweimal in Brand gesteckt worden - die Existenz aller wurde zerstört." Und dennoch: Nie habe sie auf Rache gesonnen. Im Gegenteil, gerade in Deutschland habe sie sich weiterentwickeln können. "Nichts von dem, was ich hier gelernt habe, möchte ich jetzt missen." Man solle berücksichtigen, sagt Theofanis Lappas, dass hier seit mehr als 60 Jahren fast 500 000 Griechen leben. Für viele ist Deutschland eine zweite Heimat geworden. "Wir sind in die Gesellschaft integriert, sind gesetzestreu, haben Familien hier und eine Kultur aufgebaut."

Panagiotis Gionis lebt eine Hälfte des Monats am Rhein, die andere in Athen. Der 35-Jährige ist bei Tischtennis-Bundesligist Borussia Düsseldorf engagiert. Eigentlich will er nicht über Politik reden. Schließlich sei er Sportler. In Deutschland habe er bisher nur positive Erfahrungen gemacht. Es ärgere ihn nur, wenn die Deutschen leichtfertig mit Vorurteilen jonglierten. "Das ist schon traurig. Die Griechen arbeiten sehr, sehr hart. Aber sie denken eben nicht nur an die Arbeit. Das wird von manchen falsch ausgelegt."

Wenn Angela Merkel heute also auf Alexis Tsipras trifft, geht es um nicht weniger als die Freundschaft zweier Länder, die in den vergangenen Wochen stark gelitten hat, aber die für beide Seiten so dringend notwendig ist in dieser Schuldenkrise.

(RP)
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