Analyse Das Netzwerk der Putin-Versteher

Düsseldorf · In Deutschland existiert ein auffällig rühriges Milieu von Russland-Freunden, die in der Ukraine-Krise mehr oder minder deutlich Partei für den Kreml-Chef ergreifen. Dahinter stecken wirtschaftliche Interessen, aber nicht nur.

Es ist ein deutscher Sonderweg: Nirgendwo sonst in Europa gibt es so viele prominente Fürsprecher russischer Befindlichkeiten und Interessen. Nirgendwo sonst wird Wladimir Putins neo-imperiale Politik mit so viel Milde beurteilt. Und nirgendwo sonst sind seine Freunde so gut vernetzt.

Angeführt wird der Club der Putin-Versteher von Gerhard Schröder (SPD), vormals Bundeskanzler, jetzt auf der Gehaltsliste der Nord Stream AG, die wiederum mehrheitlich dem vom Kreml kontrollierten Gazprom-Konzern gehört. Aber Schröder ist nicht allein. Ein weit verzweigtes, gut verdrahtetes Netzwerk von Stiftungen, Lobby-Gruppen, selbst ernannten Russland-Experten, Managern sowie noch aktiven oder in Ehren ergrauten Spitzenpolitikern transportiert hierzulande die Argumente Putins.

Wirtschaftsinteressen spielen dabei eine enorme Rolle. Deutsche Unternehmen sind prächtig im Geschäft mit Russland, und ihr Lobby-Verein, der "Ostausschuss der deutschen Wirtschaft", wehrt sich reflexartig gegen Kritik am Kreml, sobald diese die lukrative, über viele Jahre gehegte Beziehung gefährden könnte.

Der Ostausschuss kofinanziert außerdem Show-Veranstaltungen wie den 2001 von Putin und Schröder initiierten "Petersburger Dialog", einen elitären Zirkel, der den zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen Deutschland und Russland fördern soll, der aber vor allem der Beweihräucherung der guten Beziehungen zur russischen Machtelite dient. Auf deutscher Seite amtiert Lothar de Maizière, letzter Ministerpräsident der DDR und später über Stasi-Vorwürfe gestolperter CDU-Bundesminister, als Vorstandsvorsitzender des Forums, auf dem über strittige Themen schon lange nicht mehr gesprochen wird.

Gänzlich ungeniert treten PR-Berater wie Heino Wiese für russische Interessen ein. Wiese ist jahrelang im Windschatten von Gerhard Schröder durch die Politik gesegelt, erst in Niedersachsen, dann in Berlin. 2006 gründete er seine eigene Firma, WieseConsult. Seither residiert Wiese in Berlin nur einen Steinwurf vom Bundeskanzleramt entfernt, aber auf Angela Merkel ist er gar nicht gut zu sprechen. Die Kanzlerin habe sich seit Jahren nicht ausreichend um Russland gekümmert, klagt er. Und sie sei auch "persönlich voreingenommen". Das kann man von Wiese nicht behaupten, der sich als "Lobbyist für Russland" versteht.

So organisierte der 62-Jährige Anfang 2011 mit freundlicher Unterstützung des russischen Stahlkonzerns Severstal eine fünftägige Reise junger Bundestagsabgeordneter und Unternehmer nach Russland. Mit von der Partie war auch der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder. Die deutsche Öffentlichkeit erfuhr von Mißfelders neuer Liebe zu Russland erst, als er im April 2014 neben Wiese auf der feucht-fröhlichen Feier zum 70. Geburtstag von Gerhard Schröder in Sankt Petersburg auftauchte, zu der dann auch Wladimir Putin erschien, um den Altkanzler vor laufenden Kameras zu herzen - mitten in der Krim-Krise. Ebenfalls auf der Party: Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), der gestern gemeinsam mit Schröder in Rostock-Warnemünde ein deutsch-russisches Wirtschaftstreffen eröffnete. Sein Bundesland habe ein "vitales Interesse" an guten Wirtschaftsbeziehungen nach Russland, betonte Sellering.

Aber es wäre zu kurz gegriffen, wollte man die Motive der deutschen Putin-Freunde allein aufs Ökonomische reduzieren. Der deutsche Chor der Russland-Versteher rekrutiert seine Stimmen auch vor dem Hintergrund der ebenso engen wie wechselvollen deutsch-russischen Geschichte. Aufgrund des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion wie auch der späteren Zustimmung Gorbatschows zur Deutschen Einheit empfanden nicht wenige deutsche Politiker lange so etwas wie eine doppelte Bringschuld gegenüber Moskau - gemischt mit einer gewissen Überheblichkeit. Russland, redete man sich ein, könne durch deutschen Einfluss moderner und demokratischer werden.

Die Einsicht, dass diese "Entwicklungshilfe" krachend gescheitert ist, und dass auch die hochgelobte "Special Relationship" zwischen beiden Ländern im Ernstfall nicht zählt, gehört zu gerne verdrängten Erkenntnissen der Ukraine-Krise.

Vor allem SPD-Politiker klammern sich weiter an die 1963 von Egon Bahr formulierte und von ihm und Willy Brandt ins Werk gesetzte Doktrin vom "Wandel durch Annäherung". Was die Grundlage der neuen Ostpolitik in den 60er und 70er Jahren bildete, wird heute jedoch politisch instrumentalisiert und spielt mit Kriegsängsten. Scharfe Kritik an der russischen Politik, so die unterschwellige Botschaft, bedeute die Gefährdung von Frieden und Entspannung in Europa.

Gernot Erler, immerhin Russlandbeauftragter der Bundesregierung, neigt dem zu, aber auch Erhard Eppler (ehemaliger Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit), der in einem Interview Putin mal eben mit dem Satz exkulpierte: "Immerhin hat die Krise in Kiew begonnen." Dem haben selbst die Moskau-Versteher in den Reihen der Linken von Gregor Gysi bis Sahra Wagenknecht nicht viel hinzuzufügen. Sie führen Putins Aggression gegen die Ukraine gerne auf westliche Provokationen und auf amerikanische Agitation im angestammten Hinterhof Russlands zurück.

Vollkommen parteiübergreifend ist die Gruppe jener Politiker, die Stabilität um jeden Preis predigen. Deutschlands Polit-Orakel Helmut Schmidt (SPD) gehört dazu, aber zum Beispiel auch der knorrige CSU-Mann Peter Gauweiler. Umstürze oder Unruhen sind solchen Polit-Routiniers ein Gräuel und Putins "Eingreifen" in der politisch aufgewühlten Ukraine ein letztlich verständlicher Akt. Ruhe gilt ihnen als politisches Ideal, damit sind sie sich mit Putin einig. Die Ukraine? Nicht ganz so wichtig.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort