Heilsamer Schock im Herkunftsland Das Frankfurter "Marokko-Projekt"

Frankfurt/Main (dpa). Hafid und Nuretin sind Jungen, die für Sozialarbeiter "harte Nüsse" sind. Die Karriere der beiden jungen Marokkaner aus Frankfurt schien allzu deutlich vorgezeichnet: Erneute Strafverfahren, Jugendknast, schließlich als strafmündige Erwachsene Abschiebung in ein Land, das sie nur vom Hörensagen kennen: Marokko. Das Frankfurter Jugendamt hat ein Projekt entwickelt, das diese Entwicklung der jungen Männer mit einem heilsamen Schock stoppen soll.

Für sechs bis zwölf Monate werden sie - ihr Einverständnis vorausgesetzt - ins Herkunftsland ihrer Eltern geschickt. Im Unterschied zu dem aus Bayern abgeschobenen Türken Mehmed ist ihnen die Rückkehr nach Deutschland garantiert. Erste Erfolge zeichnen sich nach Meinung der Organisatoren bereits ab.

Ausländische Jugendliche sind eine besonders auffällige Problemgruppe in den Großstädten, wo sie überproportional häufig in den Polizeistatistiken auftauchen. Der hannoversche Kriminologe Christian Pfeiffer hat nachgewiesen, dass der Anstieg der Jugendgewalt in den vergangenen Jahren vor allem auf das Konto sozial nicht integrierter Jugendlicher ausländischer Herkunft geht - vor allem von hier geborenen Ausländerkindern.

"Mit Erlebnispädagogik hat unser Projekt nichts zu tun", wehrt Manfred Brötz vom Frankfurter Jugendamt ein nahe liegendes und seiner Meinung nach verrufenes Schlagwort ab. Den bislang vier Jugendlichen würden keine besonderen Erlebnisse, sondern "ganz normale Einzelbetreuungen" geboten, wie sie auch in Frankfurt hätte ablaufen können. Besonders heilsam scheint das Kennenlernen des wesentlich niedrigeren Wohlstands im Herkunftsland zu sein: In dem armseligen Städtchen Nador am östlichen Rand des Rif-Gebirges etwa gibt es keine glitzernde Unterhaltungsindustrie mit Kinos und Discos, Alkohol ist fast unerschwinglich und gesellschaftlich verpönt.

"Sechs Monate ist eine lange Zeit und ich wollte auch ein bisschen von den Typen weg", sagt einer der Jugendlichen. Gemeint sind die Kumpels vom Frankfurter Drogenumschlagplatz Konstablerwache, bei denen nur zur Schau getragene Stärke zählt. Der Abstand zur alten Szene ist eines der Ziele des Projektes, bei dem jeder Jugendliche von einem marokkanischen Betreuer persönlich angeleitet wird und einer Arbeit nachgeht. Sie leben in einem Haus des "Vereins für pädagogische und soziale Arbeit Nador", der mit dem deutschen Trägerverein eine Art Subunternehmervertrag geschlossen hat.

"Wir erwarten nicht, dass sie mit einer abgeschlossenen Ausbildung zurückkommen", sagt Brötz. Ein klarer Entschluss, sein Leben nunmehr in die Hand zu nehmen, darf es aber schon sein. "Dann können wir viel möglich machen." Im Gegensatz zu früheren erlebnispädagogischen Projekten würden die Jugendlichen nach der Rückkehr nicht allein gelassen, sondern in Frankfurt weiter betreut.

Der 18-jährige Vorzeigekandidat Nuretin hat nach seiner Rückkehr den Hauptschulabschluss nachgemacht und eine Schreinerlehre begonnen. Bei den anderen drei Kandidaten sei es noch zu früh, über Erfolg oder Misserfolg zu urteilen. Hilfreich bei der internen Diskussion dürfte gewesen sein, dass die Betreuungskosten wegen der wesentlich niedrigeren Personalkosten in Marokko nur etwa halb so hoch sind wie in Deutschland. Ein Tag Einzelbetreuung in Marokko kostet nach Brötz´ Angaben inklusive Taschengeld und Kleidung 162 Mark.

(RPO Archiv)
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