Nürnberg CSU nimmt keine Rücksicht auf Merkel

Nürnberg · Ein Wiedersehen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg wird es heute beim CSU-Parteitag in Nürnberg nicht geben. Merkel spricht als Gast und CDU-Vorsitzende zu den 1000 Delegierten der Unions-Schwesterpartei, aber Guttenberg bleibt in seiner neuen Wahlheimat USA, obwohl die Kulmbacher CSU ihn zum Delegierten gewählt hatte.

So gilt bis morgen das öffentliche Interesse an der einst löwenstarken bayerischen Volkspartei mit bundespolitischem Anspruch anderen politisch-inhaltlichen und personellen Leckerbissen, beispielsweise diesen Fragen: Wie stark wird der in der CSU nicht über jeden Zweifel erhabene Ministerpräsident Seehofer bei seiner Wiederwahl als CSU-Chef abschneiden? Die Messlatte liegt für Seehofer bei 88 Prozent, dem Ergebnis von 2009. Heute will sich Seehofer ohne Rücksicht auf Merkel mit einer Bis-hier-und-nicht-weiter-Rede den euroskeptischen Delegierten als "harter Hund" empfehlen und eine rote Linie gegen immer neue Milliarden für Mittelmeer-Pleitiers ziehen.

Damit bereitet der CSU-Chef atmosphärisch den Boden für die mit Spannung erwartete Bewerbungsrede des ewigen CSU-Riesentalents Peter Gauweiler (62). Der knorrige Intellektuelle, der die neue Währung einst als "Esperanto-Geld" verspottete, kandidiert morgen gegen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer. Gauweiler möchte werden, was Ramsauer ist: einer der Stellvertreter Seehofers an der CSU-Spitze. Ramsauer will ebenfalls gegen Merkels Wunsch heute für die Pkw-Maut kämpfen. Die Delegierten werden ihm wohl folgen. Aus der CSU hieß es dazu bissig mit Blick auf Merkel, sie müsse in Nürnberg schon erklären, warum sie beharrlich darauf bestehe, als "Mutter Theresa ausländischer Pkw-Fahrer" aufzutreten.

Der renommierte Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter, einer der besten CSU-Kenner zwischen Aschaffenburg und München, sieht große Gefahren für die CSU. Oberreuter sagte gestern gegenüber unserer Zeitung etwas, was dem seit Jahrzehnten sieggewohnten CSUler den Atem stocken lässt. Er, so Oberreuter, halte es für denkbar, dass es nach der Bayern-Wahl in zwei Jahren eine Regierungsmehrheit aus SPD, Grünen und Freien Wählern geben könnte: "Ich wäre nicht überrascht, wenn's am Wahlabend mit zwei bis drei Mandaten für dieses Dreier-Bündnis gegen die CSU reichen würde."

Der Wissenschaftler, der demnächst die Leitung der renommierten Akademie für Politische Bildung in Tutzing aufgeben wird und dessen Rat alle Regierenden in Bayern seit Jahren erbeten, warnte die CSU vor einer Beschwörung alter, glorreicher Zeiten: "Es gibt ja in der CSU Leute, die würden am liebsten Franz Josef Strauß exhumieren." Oberreuter zufolge sind "Rufe aus der Gruft der Tradition" nicht erfolgversprechend. Er sei nicht optimistisch, was den Wiederaufstieg der CSU zu alter Größe angehe. Die CSU müsse nach einem zukunftsrelevanten Werteprofil suchen, sich über ihren Wertekanon klar werden, statt "verschwommen vom christlichen Menschenbild" zu reden. Über Seehofers Qualitäten als CSU-Chef urteilte Oberreuter so: "Er besitzt Medientalent und Präsenz. Er ist aber zu sehr auf innen- und sozialpolitische Themen verengt. Ihm fehlt das Interesse für Außen-, Sicherheits-, Europapolitik."

(RP)
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