Protest von Medizinstudenten in Dresden Widerstand gegen Wutbürger

Meinung | Düsseldorf · An immer mehr Orten suchen Menschen nach neuen Protestformen, um radikalen Aufzügen gegen die Corona-Politik etwas entgegenzusetzen. Ist es an der Zeit, dass die schweigende Mehrheit sich artikuliert oder vertieft das nur die Gräben?

Sie stellen Lichter auf den Marktplatz, einer nach dem anderen, halten dabei Abstand und tragen eine Maske vor der Nase. Sie schieben braune Mülltonnen vor die Tür, wenn wieder radikale Corona-Leugner mit Fackeln durch ihre Straße ziehen oder sie bilden eine schützende Menschenkette vor der Dresdner Uni-Klinik, um dem aggressiven Protest gegen den Staat und die Pandemie-Erlasse etwas entgegenzusetzen.

Die schweigende Mehrheit in Deutschland, die die Pandemie-Politik bisher mitträgt, artikuliert sich immer öfter. Sie will sich den öffentlichen Raum, die Straßen und Plätze ihrer Städte, nicht mehr tatenlos nehmen lassen von denen, die sich „Querdenker“ nennen und seit Monaten mit ihren Protesten, Fackelzügen, „Spaziergängen“ auf sich aufmerksam machen. Und den Eindruck erwecken, nur sie seien noch wach in diesem Staat und stünden an der Spitze einer breiten Bewegung.

An immer mehr Orten im Land schweigt die angeblich schweigende Mehrheit nicht länger. Sie findet immer mehr Formen des öffentlichen Auftritts, die nicht gegen die für alle geltenden Hygieneregeln verstoßen und doch zum Ausdruck bringen: Es gibt uns – Bürger, die auch keine Lust mehr auf Corona haben, die auch manchen Erlass und manches Versäumnis der Politik kritisieren, aber auf Wissenschaft vertrauen, auf Vernunft setzen, an der Idee festhalten, dass man gemeinsam besser durch eine Pandemie kommt. Und dass man Gemeinsinn zum Beispiel dadurch dokumentiert, dass man sich impfen lässt.

Dass die Wut auf die Wutbürger inzwischen dazu führt, dass auch jene nach öffentlichen Ausdrucksformen suchen, die eigentlich kein Bedürfnis spüren, auf Marktplätzen, vor Parlamenten oder Einrichtungen der Wissenschaft öffentlich in Erscheinung zu treten, ist eine gute Entwicklung. Auch wenn es natürlich zeigt, an welchem Genervtheitspunkt die Gesellschaft angekommen ist. Doch mit den wachsenden Demos gegen die Corona-Politik konnte der Eindruck entstehen, die Pandemiebekämpfung sei nur noch Sache des Staates, für das Volk hingegen sei die Pandemie vorbei. Doch selbst Protestzüge mit mehreren tausend Teilnehmern sind eben nicht „das Volk“. Und womöglich ist es an der Zeit, das auch auf der Straße zu zeigen. 

In manchen Orten, nicht nur in Ostdeutschland, gehört inzwischen Mut dazu, Schilder hochzuhalten mit Aufschriften wie „Impfen statt Schimpfen“ und „Keine Macht den Rücksichtslosen“, wie sie Medizinstudenten vor der Dresdner Uniklinik den Demonstranten entgegenhielten, die unter anderem von den rechtsradikalen „Freien Sachsen“ zusammengetrommelt worden waren. Dass die Polizei dann auch gegen diese Studenten vorging, mag Teil der Strategie gewesen sein, keine gewaltvollen Auseinandersetzungen auf der Straße zuzulassen. Doch muss es natürlich einen Unterschied machen, ob Protestierende Hygieneregeln wahren, Abstand halten, Maske tragen oder ob sie ohne alle Regeln dichte Gruppen bilden. Die Polizei darf nicht parteiisch sein, wenn sie Versammlungsbestimmungen durchsetzt, doch Protest gegen jene, die sich seit Monaten aggressiv den öffentlichen Raum nehmen als gäbe es keine Pandemie, muss möglich sein. Und zwar ohne, dass es wie in Dresden hinterher Anzeigen hagelt.

Denn die Radikalen unter dem Querdenker-Label sind ja gerade munter dabei, zu testen, was geht, wenn man Frust mobilisiert, sich bei denen unterhakt, die aus nachvollziehbaren Gründen etwa gegen drohende Schulschließungen oder die Gefährdung ihrer Existenzen demonstrieren, und im Schutz dieser vermeintlich bunten Bürgerbewegung Attacken gegen den Staat fährt. Die stillen Zeichen, die nun in Städten wie Dresden gefunden werden, offene Briefe in Orten wie Leipzig, Erfurt, Bautzen, auch die friedlichen Gegendemonstrationen in NRW sind der richtige Weg. Denn sie eskalieren die Auseinandersetzungen nicht, lassen die selbstgewissen Auftritte der Querdenker aber nicht länger unkommentiert.

 Studenten demonstrierten vor dem Universitätsklinikum in Dresden gegen Impfgegner, die sich über Telegram zum Protest versammelt hatten.

Studenten demonstrierten vor dem Universitätsklinikum in Dresden gegen Impfgegner, die sich über Telegram zum Protest versammelt hatten.

Foto: dpa/Sebastian Kahnert

Stille Zeichen sind nicht schwach. Menschen, die sich geduldig in Warteschlangen einreihen, um eine Kerze aufzustellen, verhalten sich zwar leise, doch ihre Botschaft wird vernommen: Es gibt noch Zutrauen in diesem Land, gemeinsam aus der Pandemie zu finden. Ohne Tamtam, mit Vernunft und Rücksichtnahme. Je schneller desto besser.

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