Beschlüsse von Bund und Ländern Sozialverband VdK fordert kostenfreie Tests für alle Mitarbeiter und Besucher von Pflegeheimen

Berlin · Wer sich trotz eines Angebots nicht gegen Corona impfen lassen möchte, muss ab dem 11. Oktober für Schnell- und PCR-Tests selbst aufkommen. Menschen, die sich nicht impfen lassen können, erhalten die Tests weiterhin gratis. Erste Verbände fordern weitere Ausnahmen.

  Kostenlose Bürgertests, die auf diesem Plakat beworben werden, wird es nur noch bis 10. Oktober geben.

 Kostenlose Bürgertests, die auf diesem Plakat beworben werden, wird es nur noch bis 10. Oktober geben.

Foto: dpa/Annette Riedl

Um ohne Auflagen am öffentlichen Leben teilnehmen zu können, müssen Ungeimpfte sich künftig testen lassen – und die Kosten dafür ab dem 11. Oktober selbst tragen. Darauf einigten sich Bund und Länder bei der Ministerpräsidentenkonferenz am Dienstag. Die Testpflicht soll ab dem 23. August für den Besuch öffentlicher Innenräume gelten, also beispielsweise für Kinos, Schwimmbäder oder Restaurants, aber auch für den Zugang als Besucher zu Krankenhäusern und Alten- und Pflegeheimen oder bei Friseurterminen. Die Länder können allerdings Ausnahmen von dieser Testpflicht beschließen, wenn die Inzidenz stabil unter 35 liegt.

Mit der Regelung soll auch die ins Stocken geratene Impfkampagne wieder an Fahrt aufnehmen. Insgesamt sind nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums nun 45,8 Millionen Menschen oder 55,1 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig mit der meist nötigen zweiten Spritze geimpft. Mindestens eine erste Impfung haben 52 Millionen Menschen oder 62,5 Prozent der Bevölkerung. In der Gruppe der 12- bis 17-Jährigen sind laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) haben mittlerweile mehr als eine Million Kinder und Jugendliche eine Erstimpfung erhalten. Das entspricht knapp einem Viertel (22,5 Prozent) in der Altersgruppe. Aufgrund der geringeren Nachfrage bei Erwachsenen hatten mehrere Länder bereits Impfdosen an den Bund zurückgegeben. „Wir müssen dafür werben, dass geimpft wird“, mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach den Beratungen, „weil es einfach ein Schutz für uns alle ist“. Merkel sagte weiter, es wäre gut, bei der Impfquote „deutlich über 70 Prozent und hin zu 80 Prozent zu kommen“, was im Augenblick nicht als gesichert angesehen werden könne.

Geimpfte und Genesene sollen „von bundes- oder landesrechtlichen Regelungen, die Testauflagen vorsehen, ausgenommen“ werden, wie es in dem Beschluss von Bund und Ländern heißt. So gilt für sie beispielsweise keine Quarantänepflicht bei der Wiedereinreise aus Hochrisikogebieten. Steigt die Inzidenz in einer Stadt oder einem Landkreis auf 35 und mehr, müssen Ungeimpfte einen negativen Antigen-Schnelltest, der nicht älter ist als 24 Stunden, oder einen negativen PCR-Test, der nicht älter ist als 48 Stunden, vorlegen, um am öffentlichen Leben teilhaben zu können. Für Schwangere, Kinder und Jugendliche unter 18 sowie andere Menschen, für die keine allgemeine Impfempfehlung vorliegt, sollen Antigen-Schnelltests aber kostenlos bleiben. In öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkaufen sollen weiterhin medizinische Schutzmasken (OP oder FFP2) „verbindlich vorgeschrieben“ sein.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, hat nach den Beratungen von Bund und Ländern Ausnahmen von den kostenpflichtigen Tests für alle ungeimpften Mitarbeiter und Besucher von Pflegeheimen gefordert. „Wir mussten im vergangenen Jahr dabei zusehen, wie die Bewohner von Pflegeheimen an dem Coronavirus verstarben. Und die Gefahr ist noch lange nicht vorüber“, sagte Bentele. „Allein im Juni dieses Jahres gab es laut dem Robert Koch-Institut noch 40 aktive Ausbrüche in Pflege-Einrichtungen, alte Menschen kamen ins Krankenhaus und starben. Deshalb fordert der VdK kostenlose Coronatests für alle Besucher und Mitarbeiter, um Ansteckungen von alten und kranken Menschen unbedingt zu vermeiden“, so die VdK-Präsidentin. „Eine Impfquote von 100 Prozent werden wir in den Pflegeheimen wohl nie erreichen. Denn es gibt viele Erkrankungen, die eine Impfung nicht möglich machen. Die ungeimpften Bewohner sind der Gefahr der Infektion besonders ausgesetzt, wenn wir jetzt nicht weiter testen“, sagte Bentele. Ungeimpfte, die beispielsweise aufgrund einer Erkrankung oder Schwangerschaft nicht geimpft werden könnten, müssten ihre Angehörigen im Pflegeheim besuchen können. „Sie müssen die Möglichkeit haben, auch am Sonntag einen aktuellen Test vorweisen zu können. Alles andere käme quasi einem Besuchsverbot gleich“, sagte Bentele. „Auch bereits Geimpfte können weiterhin Überträger des Coronavirus sein. Und deshalb müssen wir zum Schutz der pflegebedürftigen Menschen nicht wieder alle Türen zusperren, sondern wirksam kostenfrei testen, weiter impfen und die AHA-Regeln einhalten“, so Bentele weiter. „Da wir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine gesicherten Erkenntnisse über die nachlassende Wirkung der Impfung bei älteren und immungeschwächten Personen haben, ist es zu früh, jetzt sorgenfrei wirksame und bewährte Schutzmaßnahmen über Bord zu werfen. Deshalb plädieren wir für eine Null-Risiko-Strategie.“

Zur Feststellung des jeweiligen Infektionsgeschehens sollen laut Beschluss neben der Sieben-Tage-Inzidenz auch die Lage in den Krankenhäusern sowie die Impfquote herangezogen werden. Für die Rechtsgrundlage soll die epidemische Lage von nationaler Tragweite über den 11. September hinaus fortgeschrieben werden. Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen liegt laut Robert Koch-Institut (RKI) nun bei 23,5 – am Vortag hatte die Sieben-Tage-Inzidenz noch bei 23,1 gelegen, beim jüngsten Tiefststand vor gut einem Monat 4,9.

  Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einer Pressekonferenz nach der Ministerpräsidentenkonferenz.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einer Pressekonferenz nach der Ministerpräsidentenkonferenz.

Foto: dpa/Christian Mang

Mit Blick auf Feiern, Bars oder Clubs sollen die Kommunen im Einzelfall Einschränkungen prüfen, heißt es im Beschluss. Bei Fußballspielen und anderen Sportgroßveranstaltungen sollen Stadien und Hallen künftig ab einer Zahl von mehr als 5000 Zuschauenden nur zur Hälfte ausgelastet werden, maximal sollen aber 25.000 Menschen vor Ort sein dürfen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel schloss nach jetzigem Stand der Dinge einen erneuten harten Lockdown in Deutschland aus. Solange die Impfstoffe auch gegen die Delta-Variante des Coronavirus wirkten, könnten Geimpften Grundrechte nicht einfach entzogen werden, sagt Merkel in Berlin. Anders wäre dies, wenn es eine Mutation des Virus gäbe, gegen die die Impfstoffe nicht schützten, so die Kanzlerin.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki kritisierte jedoch die Abschaffung kostenloser Tests und sagte einen Rückgang der Testbereitschaft bei Ungeimpften voraus. „Die Aufhebung der Kostenfreiheit für Tests wird bei der Bewältigung der Pandemie kontraproduktiv wirken. Denn dies führt dazu, dass sich deutlich weniger Menschen entscheiden, einen solchen Test zu machen“, sagte Kubicki unserer Redaktion. „Damit sinkt zwar die Inzidenz, aber es werden nicht mehr diejenigen zuverlässig identifiziert, um die es bei der Pandemiebekämpfung eigentlich geht: die Infizierten“, sagte der FDP-Politiker. „Außerdem ist vollkommen unklar, wie sich diejenigen im Impfzentrum ausweisen sollen, denen weiterhin ein kostenfreier Test zusteht. Immerhin geht es zum Teil um sensible Gesundheitsdaten. Es muss also eine neue Infrastruktur aufgebaut werden, um diese Menschen weiterhin kostenlos testen zu können“, sagte Kubicki. „Weitaus sinnvoller und verfassungsrechtlich richtig wäre, der Forderung von Kanzleramtsminister Braun aus dem März zu folgen: Die Aufhebung sämtlicher Maßnahmen, sobald jede und jeder die Möglichkeit hatte, sich übers Impfen zu immunisieren. Dann sind auch keine Tests mehr nötig“, so Kubicki.

Die Grünen zeigten sich unzufrieden. „Die Beschlüsse der MPK sind angesichts steigender Infektionszahlen und einer inzwischen dominanten, gefährlicheren Virusvariante enttäuschend“, sagte Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen. „Statt Pflegeeinrichtungen und Schulen endlich sicher zu machen, statt konkrete Maßnahmen für mehr Tempo beim Impfen vorzulegen, versucht man die Menschen an Stelle von überzeugenden Argumente durch Druck zum Impfen zu bewegen“, sagte er. „Als Arzt sage ich, das wird nicht funktionieren“, sagte Dahmen. „Noch dazu beraubt man sich mit dem Wegfall kostenloser Tests eines systematischen Überblicks über das Infektionsgeschehen. Das ist Kopf-in-den-Sand-Politik. Die Zahlen sind eindeutig, so werden wir eine vierte Welle nicht verhindern. Es wäre Aufgabe der Bundesregierung endlich für überzeugende Aufklärungsarbeit, mehr Mobilität der Impfangebote und die Koordination des Schutzes von Kindern und Familien zu sorgen“, sagte Dahmen.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßte die Beschlüsse. „Es ist richtig, dass ab dem 11. Oktober die Bürgertests nur noch für die Personen kostenfrei sind, die nicht geimpft werden können. Wer ein im Impfangebot nicht annimmt, muss akzeptieren, dass er für den Zugang zu bestimmten öffentlichen Veranstaltungen einen selbst finanzierten negativen Test vorweisen muss“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg.

Er hält auch die Fortschreibung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite für richtig. „Damit bleibt die Handlungsfähigkeit der Regierung bei der Pandemiebekämpfung gewahrt. Gerade in Wahlkampfzeiten könnte es andernfalls schwierig sein, möglicherweise notwendige Beschlüsse des Bundestages kurzfristig einzuholen.“ Es müsse alles unternommen werden, um einen Lockdown im Herbst zu vermeiden, etwa mit Pool-Testungen an Schulen. „Das wäre für die Menschen und für die Wirtschaft, aber insbesondere auch für unsere Kinder in den Kindergärten und Schulen, eine schwere Belastung. Es wäre deshalb wünschenswert, dass deutschlandweit in Schulen und Kindergärten die sogenannten Pool-Testungen durchgeführt werden. Sie sind vergleichsweise preiswert, zuverlässig, sicher und könnten täglich erfolgen.“

Landsberg bedauerte aber, dass es keinen Beschluss zu einem neuen Indikator auf der Ministerpräsidentenkonferenz gab. „Bedauerlicherweise gibt es keine einheitlichen Regelungen wie die unterschiedlichen Parameter – Inzidenz, Impfquote, Krankenhausbelastung – vor Ort umgesetzt werden. Dies können nun die Länder/Kommunen in eigener Verantwortung regeln. Die Überschaubarkeit für die Menschen, was wann wie wo gilt, wird damit schwieriger.“

Neben den Corona-Maßnahmen beschlossen Bund und Länder umfangreiche Hilfen für die Flutopfer in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Laut Vereinbarung übernehmen Bund und Länder die Aufbaukosten der betroffenen Länder in Höhe von 28 Milliarden je zur Hälfte, zwei Milliarden Euro trägt der Bund allein. Die Beteiligung der Länder erfolgt über eine auf 30 Jahre angelegte Anpassung in der Verteilung für die Umsatzsteuer. In der kommenden Woche werde das Bundeskabinett das entsprechende Gesetz zum Fonds beschließen, sagte die Kanzlerin. Merkel würdigte die „umfassende Hilfsbereitschaft“ von Ehrenamtlichen und Privatpersonen in den Flutgebieten. Es handele sich aber um eine Aufgabe von gesamtstaatlicher Dimension, betonte sie und sagte zum Aufbaufonds: „Das ist ein Zeichen gesamtstaatlicher Solidarität.“

 Ein Bagger reißt in Altenburg Häuser ab, die durch die Flutkatastrophe zerstört wurde.

Ein Bagger reißt in Altenburg Häuser ab, die durch die Flutkatastrophe zerstört wurde.

Foto: dpa/Thomas Frey

Landsberg begrüßte den Beschluss, sprach sich aber für weitere Erleichterungen aus.  „Diese einmalig hohe Summe ist ein deutliches Hoffnungssignal für die Menschen und die Kommunen in den besonders hart betroffenen Regionen, insbesondere im Ahrtal“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, unserer Redaktion.  Jetzt müsse der Grundsatz gelten: „Wir packen es schnell auf und schaffen den Wiederaufbau“. Landsberg sprach sich  gleichzeitig für ein  „Wiederaufbaubeschleunigungsgesetz mit verkürzten Genehmigungsverfahren, erleichterten Vergabevorschriften für die Beschaffung und dem Verzicht auf naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen“ aus, wenn es darum gehe, die notwendigen Einrichtungen der kommunalen Daseinsvorsorge schnell wieder zu errichten. Gleichzeitig sollte die Chance genutzt werden, die betroffenen Gebiete zu Modellregionen für Klimaschutz, Innovation, Hochwasserschutz, Klimafolgenanpassung, Digitalisierung, und moderne Verkehrskonzepte zu entwickeln, betonte Landsberg.

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