Christine Lambrecht Ministerin des Missverständnisses

Christine Lambrecht steht kurz ihrem Abgang als Verteidigungsministerin. Sie ist in diesem Amt, das schon zu Friedenszeiten eine Herausforderung ist, nie angekommen. Ihre hohe Loyalität zu Olaf Scholz hat sie an die Spitze des Verteidigungsministeriums gebracht. Der Posten war für sie letztlich eine Nummer zu groß, doch sie dürfte gewusst haben, worauf sie sich eingelassen hat.

 Auf dem Weg in ein schweres Amt: Christine Lambrecht bei ihrer Vereidigung als Verteidigungsministerin am 8. Dezember 2021 im Bundestag

Auf dem Weg in ein schweres Amt: Christine Lambrecht bei ihrer Vereidigung als Verteidigungsministerin am 8. Dezember 2021 im Bundestag

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Am Freitag dieser Woche hat Christine Lambrecht einen wichtigen Termin. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat eingeladen – auf den Luftwaffenstützpunkt Ramstein in der Pfalz. Es geht um Unterstützung für die Ukraine, um Geld, um Panzer, womöglich auch um Kampfpanzer Made in Germany, welches Land sie dann auch immer liefert. Minister aus rund 50 Staaten sitzen am Tisch in diesem sogenannten „Ramstein-Format“. Lambrecht bräuchte für dieses Treffen die volle Autorität ihres Amtes. Aber wie soll das gehen, wenn man selbst angezählt ist wie ein Boxer kurz vor dem K.o.?

Ob Lambrecht am Freitag noch Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) in Friedenszeit ist, ist äußerst fraglich. Denn ihre persönliche Friedenszeit mit einem der schwierigsten Ministerien, die ein Bundeskanzler in seinem Kabinett zu vergeben hat, ist abgelaufen. Die SPD-Politikerin kämpft mit einem Amt, das schon ohne Krieg in Europa und Fragen militärischer Unterstützung für ein angegriffenes Land, eine Herausforderung ist. Im Grunde gilt es schon als Erfolg, wenn eine Verteidigungsministerin respektive ein Verteidigungsminister das Haus wieder verlassen kann, ohne dass die Karriere futsch ist. Die Teilstreitkräfte und ihre Inspekteure führen ein kaum zu kontrollierendes Eigenleben, das sogenannte Beschaffungswesen ist ein Dschungel, in dem sich Industrie und Ministerialapparat seit Jahrzehnten die Bälle zuspielen, und jedes Bundeswehr-Großprojekt birgt wegen technischer Unwägbarkeiten eine potenzielle Affäre. Kaum ein Minister, der nicht ohne Schrammen und mindestens einem blauen Auge, das Verteidigungsministerium wieder verlässt, wenn man von dem bei der Truppe einst hochbeliebten und 2012 verstorbenen Sozialdemokraten Peter Struck einmal absieht.

Mit Lambrecht hatte jedenfalls niemand auf diesem Posten gerechnet, als Bundeskanzler Olaf Scholz am Nikolaustag 2021 im Willy-Brandt-Haus seine Ministerriege vorstellte. Die Ankündigung von Scholz für Lambrecht war kühn, erst recht gemessen daran, dass die Juristin bis dato durch Reden zur Verteidigungspolitik überhaupt nicht in Erscheinung getreten war. Bundesinnenministerin wäre sie gerne geworden. Lambrecht werde „eine ganz, ganz bedeutende Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland sein“, orakelte Scholz. Dann kam der Krieg. Als Sergej Lawrow in Deutschland noch einigermaßen salonfähig war, trat er 2018 mit dem damaligen Außenminister Sigmar Gabriel gemeinsam bei einem Frühstück mit Wirtschaftsvertretern am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz auf. Lawrow war zum damaligen Zeitpunkt bereits 14 Jahre Außenminister der Russischen Föderation, Gabriel hatte sich mit einigen Ausfällen in seiner Partei, der SPD, in Ungnade gebracht. Gabriel sagte damals: „Sergej, Du bist jetzt bald 14 Jahre Außenminister, ich bin mir nicht sicher, dass ich 14 Monate schaffe.“ Kurz danach musste Gabriel für Heiko Maas seinen Posten räumen. Bei Lambrecht ist mittlerweile auch fraglich, ob sie 14 Monate als Verteidigungsministerin voll bekommt.

Das ist Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht
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Foto: dpa/Ján Krošlák

Die SPD-Politikerin hat in den bisher 13 Monaten im Amt keine ganz große Affäre zu bewältigen gehabt, keinen Klopper in der Sache. Doch viele kleine Fehler und persönliche Geschmacksverirrungen haben sich am Ende summiert: mit Stöckelschuhen auf Truppenbesuch im Wüstensand von Mali, ein in sozialen Netzwerken verbreitetes Foto ihres Sohnes beim Mitflug in einem Regierungshubschrauber, wo Lambrecht noch ein Gerichtsurteil brauchte, ehe sie preisgab, wer das Foto gemacht hatte: sie selbst. Sie rief Bundesinnenministerin Nancy Faeser zur Unzeit zur SPD-Spitzenkandidatin in Hessen aus und brachte die Parteifreundin damit in Erklärungsnot. Zuletzt ein privat gedrehtes Silvestervideo mit Böllergeräuschen im Hintergrund, als stünde Frau IBuK im Krieg. Abteilung: unpassend bis daneben. Hinzu kamen Pannen beim Schützenpanzer „Puma“, den Deutschland der Nato für die Schnelle Eingreiftruppe gemeldet hatte. Sicherheitshalber hatten die Bundeswehr-Planer den alten Schützenpanzer „Marder“ von vorneherein miteingeplant, man weiß ja nie.

Länger schon drängte sich der Eindruck auf, die Berufung von Lambrecht an die Spitze des Verteidigungsministeriums war im Grunde ein großes Missverständnis, auch eines des Bundeskanzlers. Lambrecht war Parlamentarische Staatssekretärin bei Scholz, als dieser noch Bundesfinanzminister war. 2019 steigt sie zur Justizministerin auf, als Katarina Barley nach Brüssel wechselt. Lambrecht gilt Scholz als fleißig, verlässlich, loyal, schwingt keine großen Reden und drängt auch nicht aktiv in die Schlagzeilen. Scholz schätzt die Genossin. Als Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, die sie von 2013 bis 2017 war, verdient sie sich Anerkennung, weil sie eine Fraktion mit sehr unterschiedlichen Flügeln und Interessen durch eine Legislaturperiode managt.

Lambrecht hatte sich 2021 nicht mehr um ein Bundestagsmandat beworben und stand kurz vor dem Ausstieg aus der Politik, bis die SPD überraschend die Wahl gewann und der Anruf von Scholz kam. Willst Du? Sie sagte ja. Ja zu einem Amt, in dem sie letztlich nie angekommen ist. Dienstgrade auswendig lernen, das sei nicht ihre Sache. Dabei müsste sie gerade als Verteidigungsministerin ein Gespür dafür haben, wie wichtig in einer Organisation wie der Bundeswehr der Dienstgrad ist. Lambrecht hat sich im Ministerium eingeigelt, mit Getreuen umgeben, und wirkte bis zuletzt schlecht beraten, sofern sie sich überhaupt beraten ließ. Sie suchte wenig Gelegenheit, etwa am Rande eines Nato-Gipfels, ihre Arbeit Journalisten zu erklären. Kurzes Statement, schon war sie wieder weg. Womöglich ist sie bald wieder weg. Dann ganz.

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