Chinas Vizepräsident spurlos verschwunden

Tianjin Kurz vor dem 18. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas sorgt die Abwesenheit von Vizepräsident Xi Jinping für wilde Spekulationen. Schon bei dem Besuch von US-Außenministerin Hillary Clinton am vergangenen Mittwoch hatte Xi sich wenige Stunden vor dem Treffen entschuldigen lassen. Beim Besuch der dänischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt zu Wochenbeginn wieder eine Absage – ungewöhnlich angesichts des strengen chinesischen Protokolls.

Immer stärker brodelt deshalb die Gerüchteküche, zumal Xi beim Parteitag im Oktober die Führung Chinas übernehmen soll. Er habe sich beim Schwimmen am Rücken verletzt, heißt es in den ersten Berichten. Der fußballbegeisterte Vizepräsident habe sich beim Spielen verletzt, lautet eine zweite Version. Schwerer wiegen die aus Hongkong und Taiwan per Internet verbreiteten Meldungen aus "guter Quelle", wonach Xi am Abend vor dem Treffen mit Clinton bei einem Verkehrsunfall verletzt und in ein Pekinger Prominentenkrankenhaus eingeliefert worden sei. Fast zeitgleich sei auch der oberste Kontrolleur des Zentralkomitees, He Guoqiang, im Auto verunglückt. Die Unfallmeldungen wurden innerhalb von nur 24 Stunden zu Anschlägen auf die beiden Politiker aufgebauscht.

Die Parteibehörden und auch das Außenministerium schweigen beharrlich – eine Gewohnheit noch aus Zeiten, in denen China eine geschlossene sozialistische Gesellschaft war. Es könnte durchaus sein, dass Xi und Guo nur deshalb verschwunden sind, weil sie das vor dem Parteitag notwendige ZK-Plenum vorbereiten, das die endgültige Tagesordnung festlegt. Aber das würde nicht die Absage der internationalen Treffen Xis erklären. Daher ist die Unfall-Theorie immer noch nicht vom Tisch.

Pekings Führung hat Gerüchte um seine Mitglieder bis zu einem gewissen Punkt schon immer ignoriert. So wurden etliche Führer zu Lebzeiten für tot erklärt, von Deng Xiaoping bis Jiang Zemin. Sie tauchten erst wieder in der Öffentlichkeit auf, als die Aktienkurse abstürzten.

Premier Wen Jiabao dürfte wissen, wohin Chinas Kronprinz verschwunden ist. Wen trat gestern beim Wirtschaftsforum in Tianjin auf. Der Premier hat in den vergangenen Tagen viele große Ansprachen gehalten. Immer wieder rief er dabei sein Volk und das Ausland auf, mit Zuversicht die vielen Krisen zu überwinden. Über den verschollenen Xi verlor er dabei kein Wort.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort