Charlotte Rassenunruhen in der Vorzeigestadt

Charlotte · Charlotte in North Carolina galt als Musterbeispiel für eine lebendige und lebenswerte Stadt - bis Mittwochnacht.

Charlotte: Ausschreitungen nach dem Tod des Afroamerikaners
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Ausschreitungen nach Polizeigewalt in Charlotte

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Foto: rtr, CLH/JM

Einmal mehr steht eine amerikanische Großstadt im Zeichen heftiger Rassenunruhen: In Charlotte haben die tödlichen Polizistenschüsse auf einen 43 Jahre alten Afroamerikaner in der zweiten Nacht in Folge chaotische Szenen ausgelöst. Was am Mittwochabend als friedliche Demonstration der Aktivisten der Bürgerrechtsinitiative "Black Lives Matter" ("Schwarze Leben zählen") begann, endete mit einer Orgie der Gewalt.

Geschäfte und Geldautomaten werden geplündert, Autos brennen, Fensterscheiben gehen zu Bruch. Steine fliegen, während die Polizei Tränengasgranaten in die Menge feuert. Mitten in dem Gewühl wird auf einen Mann geschossen, der seither mit lebensbedrohlichen Verletzungen auf der Intensivstation eines Krankenhauses liegt. In der größten Stadt North Carolinas, einer Finanzmetropole, die sich gern als Boomtown des amerikanischen Südens feiern lässt, gilt der Ausnahmezustand.

Nach wie vor umstritten ist, warum der 26-jährige Streifenpolizist Brentley Vinson am Dienstag seine Waffe auf Keith Lamont Scott, einen 43 Jahre alten Familienvater, richtete. Zwei völlig unterschiedliche Versionen machen die Runde. Nach der Schilderung seiner trauernden Familie saß Scott auf einem Parkplatz friedlich in seinem Auto, ein Buch in der Hand, um auf seinen Sohn zu warten. Nach Darstellung der Polizei war er bewaffnet und weigerte sich trotz mehrfacher Aufforderung, seine Pistole niederzulegen. Ein Videofilm, der das Geschehene angeblich lückenlos dokumentiert, könnte für Aufklärung sorgen. Einige der Beamten waren mit Body Cameras ausgestattet.

Während die Bürgerrechtsliga ACLU die sofortige Freigabe des Videos verlangt, hält das lokale Police Department das Band noch unter Verschluss. Man müsse erst die Ermittlungen abschließen, lautet die Begründung. Was die Debatte zusätzlich mit Emotionen auflädt: Am 1. Oktober tritt in North Carolina ein Gesetz in Kraft, wonach die Polizei Videoaufnahmen erst veröffentlichen muss, wenn ein Richter sie dazu verpflichtet. Bürgerrechtler sehen in der Novelle einen Beleg dafür, dass die Behörden nicht an Transparenz interessiert seien, sondern auf Zeit spielen.

Mitten in die angespannte Lage platzt nun ausgerechnet der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump mit einem besonders umstrittenen Vorschlag. Der Milliardär fordert die landesweite Einführung einer umstrittenen Polizeitaktik: "Stop and Frisk" sei die Lösung, sagt er. Die Taktik gestattet es einer Polizeipatrouille, Passanten ohne konkreten Verdacht anzuhalten und zu durchsuchen. In New York, wo sie jahrelang angewandt wurde, hatte ein Bundesrichter das Vorgehen 2013 für unrechtmäßig erklärt. Bei den rund fünf Millionen New Yorkern, die insgesamt bei den willkürlichen Kontrollen gefilzt wurden, handelte es sich zu 83 Prozent um Afroamerikaner und Hispanics, obwohl beide Gruppen nur etwa die Hälfte der Stadtbevölkerung stellen. Der Demokrat Bill de Blasio, Vater eines Jungen mit Afrofrisur, hatte die Bürgermeisterwahl vor drei Jahren auch deshalb gewonnen, weil er sich ohne Wenn und Aber von "Stop and Frisk" distanzierte. Seitdem hat es in New York keinen nennenswerten Anstieg der Kriminalität gegeben.

(RP)
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