Analyse Bundeswehr stößt an ihre Grenzen

Berlin · Die neue Devise für die deutsche Sicherheitspolitik lautet, "früher, schneller, substanzieller" weltweit in Krisen hineinzugehen und mehr Verantwortung zu übernehmen. Doch in der Praxis tun sich die deutschen Streitkräfte mit diesen Aussichten schwerer als vermutet.

Das Bundeskabinett stellt heute die Weichen für zehn weitere Monate Afghanistan- und einen ausgeweiteten Mali-Einsatz. Gestern kündigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen beim Besuch des Einsatzführungskommandos an, dass Deutschland auch in Afrika künftig seine "ganz klaren Vorstellungen einbringen" werde. Ist das bereits der nächste Schritt zu mehr Verantwortung? Außenminister, Verteidigungsministerin und Bundespräsident hatten es in München auf die Formel gebracht, "früher, entschiedener und substanzieller" in internationale Krisen eingreifen zu wollen. Kann die Bundeswehr das überhaupt leisten?

Für den Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus verfügt die Bundeswehr schon jetzt über "kaum noch ausreichende Ressourcen, um selbst die gegenwärtigen Auslandseinsätze verlässlich zu versorgen". Auch der geplante Einsatz eines Lazarett-Airbus-Kontingentes führe nur dazu, dass das entsprechende medizinische Personal aus Bundeswehr-Krankenhäusern abgezogen werden müsse. Genau dort, beim Sanitätsdienst, stoße die Truppe auf ihren nächsten Personalengpass.

Die Bundeswehr am Rande ihrer Fähigkeiten? Ein Blick auf die Zahl der Einsätze mag dies belegen: In nicht weniger als 14 internationalen Militärmissionen sind deutsche Soldaten derzeit engagiert. Die Schauplätze reichen vom Horn von Afrika über den Sudan und die Sahara bis zum Libanon, die Türkei und das Kosovo. Aber die Zahl der Soldaten spricht eine andere Sprache: 5012 Frauen und Männer leisten ihren Dienst derzeit im Auslandseinsatz. Gemessen an den über 8000 Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz vor zehn Jahren klingen die aktuellen Bedenken wie Zweckpessimismus.

Vor allem passt der Befund nicht zu der seit Jahren laufenden "Neuausrichtung" der Bundeswehr. Damit sollten ja gerade die früheren Heimatverteidigungs-Streitkräfte zu einer noch effizienteren, weltweit operierenden Einsatzarmee umgebaut werden. Folgerichtig hielten die 2011 neu gefassten "Verteidigungspolitischen Richtlinien" der Regierung fest, dass zur internationalen Konfliktbewältigung "eskalations- und durchsetzungsfähige Kräfte gleichzeitig für Einsätze in unterschiedlichen Einsatzgebieten" verfügbar sein müssen, und zwar "zeitgleich rund 10 000 Soldatinnen und Soldaten".

Doch nicht die Menge der Soldaten ist das Problem. Würde sich die Situation im Kosovo zuspitzen, könnten in kurzer Zeit viele Hundert zusätzliche Heeressoldaten in der Fläche präsent sein. Es geht um Defizite in Schlüsselfunktionen. Beim Sanitätsdienst sind die Reserven schnell erschöpft, wenn Lazarette gleichzeitig an vielen Ecken der Welt professionell betrieben werden sollen. Und auch der Lufttransport funktioniert so lange gut, wie er nicht zu viele Stützpunkte versorgen muss. Experten finden es deshalb fatal, dass aus Kostengründen die Zahl der bestellten Transportflugzeuge A 400 M nach unten korrigiert wurde und auch die Hubschrauberstückzahlen sinken sollen — von fehlendem fliegenden Personal ganz zu schweigen.

Ohnehin tut Deutschland gut daran, die Kräfteverhältnisse nicht aus dem Auge zu verlieren. Anders als Washington wird Berlin nie mehrere Flugzeugträger oder Hunderte von Jets in Krisengebiete verlegen können, um dem Druck auf politische Lösungen verstärken zu können. Das Potenzial wird immer um Klassen bescheidener sein.

Die Verantwortlichen der Koalition unterstreichen deshalb lieber, wie sehr sie sich eine breite öffentliche Debatte über Aufgaben und Konsequenzen wünschen. Es gehe "vor allem um den Einsatz diplomatischer und entwicklungspolitischer Mittel und erst als Ultima Ratio auch um den Einsatz militärischer Mittel", sagt Unionsverteidigungsexperte Henning Otte.

Auch sein SPD-Amtskollege Rainer Arnold sieht es als vorrangiges Ziel an, die Gesellschaft bei der Neuausrichtung der Sicherheitspolitik mitzunehmen. Erst danach sei darüber zu diskutieren, wie die Bundeswehrreform nachgesteuert werden könne, um die sich abzeichnenden hohlen Strukturen zu vermeiden.

Linken-Verteidigungspolitikerin Christine Buchholz kritisiert einen "offen interventionistischen Anspruch" und sagt voraus: "Am Ende werden die Soldaten den Preis zahlen."

(may-)
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