Genf "Birkenstock-Rassisten" wollen Schweiz einigeln

Genf · Radikale Umweltschützer fordern einen Einwanderungsstopp in die Alpenrepublik. Selbst den Rechtsnationalen geht das zu weit.

Schweizer Dorf stimmt gegen Zuwanderer
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Auf den ersten Blick handelt es sich um honorige, rational denkende Schweizer: Ex-Professoren der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, Chemiker, Ingenieure und Unternehmer. Doch wenn es um die Einwanderung geht, dann verfechten sie radikale Pläne: Sie sind die Wortführer der Volksinitiative "Stopp der Überbevölkerung - zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen". Nach ihren Vorstellungen sollen die Schweizer nur noch eine jährliche Einwanderung von 0,2 Prozent der Wohnbevölkerung dulden - verankert würde ein entsprechender Artikel in der helvetischen Verfassung. Am 30. November werden die Eidgenossen ihr Urteil über die sogenannte Ecopop-Initiative fällen.

Laut Umfragen ist ein Sieg von Ecopop ("Ecologie et Population", "Umweltschutz und Bevölkerung") nicht auszuschließen - die Initiative würde damit der Schweiz eine der schärfsten Migrationsregeln in Europa, wenn nicht in der Welt bescheren. Die Schweiz würde die Tür zur EU mit lautem Knall zuschlagen. Wirtschaft, Regierung und fast alle Parteien stemmen sich gegen die Initiative. Selbst der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei (SVP) unter ihrem Anführer Christoph Blocher geht Ecopop zu weit. Ein Blocher-Gefolgsmann beschimpfte die Antragsteller gar als "Birkenstock-Rassisten und verwirrte Akademiker".

Den Sprecher der Initiative, Benno Büeler, einen Mathematiker, ficht das nicht an. Kühl legt er seine Rechnung vor: In der Schweiz lebten schon jetzt zu viele Menschen. "Geht das so weiter, werden wir bis 2050 von acht auf elf Millionen wachsen. Die Schweiz wird eine Riesen-Stadt." Büeler zählt die Folgen auf: "Zugebaute Natur, Staus, überfüllte Züge, steigende Mieten, überlastete Sozialwerke." Um das Schreckensszenario abzuwenden, müssten die Grenzen nahezu dichtgemacht werden. Dann würde die Nettozuwanderung (Einwanderung minus Abwanderung) von heute 80 000 Menschen auf unter 16 000 fallen.

 Selbst der Schweizerischen Volkspartei (SVP) unter ihrem Anführer Christoph Blocher geht Ecopop zu weit.

Selbst der Schweizerischen Volkspartei (SVP) unter ihrem Anführer Christoph Blocher geht Ecopop zu weit.

Foto: AFP, AFP

Die Schweiz, so verheißt Ecopop, wäre gerettet. Doch die Antragsteller wollen auch der ganzen Welt Gutes tun. Ihre zweite Forderung lautet: Die Schweiz solle mindestens zehn Prozent ihrer Entwicklungshilfe einsetzen, um "das Menschenrecht auf selbstbestimmte Familienplanung endlich auch für arme Menschen" zu realisieren. Anders ausgedrückt: Die Schweiz soll durch den Kauf von Verhütungsmitteln und durch Aufklärungskampagnen helfen, die globale "Überbevölkerung" zu stoppen.

Im Berner Bundesrat, der siebenköpfigen Regierung, lösen die Forderungen der Volksinitiative "Stopp der Überbevölkerung" Kopfschütteln aus. Und angesichts der weiten Zustimmung herrscht am Kabinettstisch auch Ratlosigkeit. "Die Situation ist sehr ernst", stöhnt Bundespräsident Didier Burkhalter. Würde die "extreme Initiative" angenommen, wäre der hart erarbeitete Schweizer Wohlstand in Gefahr.

Der Ausländeranteil in den Schweizer Nachbarländern
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Die Wirtschaftsverbände pflichten bei. Ließe das Land die dringend benötigten fremden Fachkräfte draußen, stünden in vielen Branchen die Räder still. Im Gesundheitswesen etwa blieben bis 2030 rund 110 000 Stellen unbesetzt. Das käme einem "Totalschaden" gleich, warnt die Chefin des Universitätsspitals Zürich, Rita Ziegler.

(RP)
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