Aufstieg von Jens Spahn Neue Biografie über den Raufbold der Union

Unbequem, fordernd, streitlustig. Jens Spahn ist der Raufbold der Union. Eine neue Biografie zeichnet das Bild eines rastlosen und überzeugten Konservativen.

Jens Spahn - Bilder aus dem Leben des CDU-Politikers
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Jens Spahn - vom Karnevalsprinz zum überzeugten Konservativen

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Foto: dpa/Lisa Ducret

Gesundheitsminister Jens Spahn bringt eine Eigenschaft mit, die in der Branche, in der er tätig ist, selten geworden ist. Diese Eigenschaft ist Mut. Wer sich wie Jens Spahn mit seinen 38 Jahren nicht im Kielwasser der Parteivorsitzenden Angela Merkel, sondern regelrecht gegen deren Bugwelle als möglicher Nachfolger profiliert, der weist diesen Mut auf in einer CDU, die in den vergangenen Jahren zu einer Interessengemeinschaft Macht, letztlich zu einer IG Merkel geworden ist.

Und Michael Bröcker bringt den journalistischen Mut auf, ein Buch über einen Mann zu schreiben, der möglicherweise die Zukunft der CDU ist. Aber eben nur möglicherweise. Solche Biographien sind wie Wetten: Man setzt auf den Namen, legt sich fest – gewinnt oder verliert. Jene Kollegen, die im Herbst 2016 Biographien über Sigmar Gabriel vorgelegt hatten, haben diese böse Erfahrung gemacht. Ladenhüter sind daraus geworden, nachdem Gabriel Martin Schulz die Kanzlerkandidatur überließ.

Schon in der Einleitung macht Bröcker klar, dass er Spahn zutraut, Kanzler zu werden. Alle Voraussetzungen, die dafür nötig seien, bringe dieser mit: Intelligenz. Fleiß. Machtbewusstsein. Netzwerkqualitäten. Und dann nimmt er uns zunächst mit auf eine Reise in die Kindheit und Jugend des Jens Spahn in einem 3700-Einwohner-Ort im Münsterland. Man sieht den kleinen Jens förmlich mit dem Trettraktor durch die Straßen von Ottenstein brettern, zwei Sätze Reifen soll er nach Aussage seiner Mutter dabei runtergefahren haben.

Man hat teil daran, wie Spahn sich politische Unterstützung sichert, in dem er die feierfreudige CDU-Jugend vom Land nach Berlin führt. Wie er sich in die Kommunalpolitik kämpft, wie er sich für das atomare Zwischenlager im nahen Ahaus einsetzt, zu einem guten Teil schon deswegen, weil alle anderen dagegen sind. Vor allem aber: wie er sich 2002 gegen einen etablierten Kandidaten seinen Wahlkreis erkämpft, wie er die Drohung eines parteiinternen Konkurrenten, ihn zu outen, kontert, wie er mit 21 Jahren als jüngster direkt gewählter Abgeordneter in den Bundestag einzieht. Wie er sich später gegen den Wunschkandidaten der Kanzlerin, Hermann Gröhe, einen Sitz im Präsidium der CDU ergattert.

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Foto: dpa/Michael Kappeler

Bröcker hat die halbe politische Republik interviewt und bereist, um diese junge politische Ausnahmebegabung auszuleuchten. Dabei haben ihm nicht nur seine exzellenten Kontakte geholfen, sondern auch das Vertrauen des Porträtierten, der sich nicht in den Weg gestellt hat, als Bröcker im Familien- und Freundeskreis recherchiert hat. Heraus gekommen ist ein außerordentlich detailreiches Buch über einen Mann, dem Konformismus ein Graus ist und das Recht auf eigene Meinung ein hohes Gut. Spahns einzigartige Mischung aus Konservatismus und dem selbstbewussten und selbstverständlichen Umgang mit seiner Homosexualität machen ihn zu einer singulären Figur in der CDU. Allein die Passage, in der die Eltern zu Wort kommen, wie diese mit dem Outing ihres Sohnes im zutiefst konservativen Münsterland umgegangen sind, macht klar, was für eine Leistung das ist, die Spahn da vollbracht hat.

Inhaltlich sind diesem Buch keine Schwächen nachzuweisen. Spahns kritische Grundhaltung dem Islam und der Migration gegenüber wird schlüssig abgeleitet, nicht zuletzt von seinen Erfahrungen aufgrund seiner sexuellen Orientierung („Sie müssten sich in einer islamischen Gesellschaft ja nur einen Bart wachsen lassen. Aber Homosexuelle wie ich werden vom Turm geworfen.“) Spahns unbedingter Wille, seine Unerschrockenheit, seine innere Unabhängigkeit, alles wird in diesem Buch auf bisher nicht dagewesene Weise schlüssig und plausibel aus seinem jungen Leben hergeleitet.

Beim Lesen staunt man regelrecht, wie so viele politische Schlüsselmomente in ein so relativ kurzes Leben passen können. Und wie abgebrüht und hochprofessionell er in diesen jungen Jahren schon ist. Regelrecht gönnerhaft klingt es, wenn er Merkel eine „noch größere Arschbombe als meine“ attestiert, als diese seinen Parteitagsputsch in Sachen Doppelpass in Essen unmittelbar danach im Fernsehsender Phoenix abräumt, in dem sie erklärt, der Beschluss habe keinen Einfluss auf ihr Regierungshandeln.

Ein wenig Redundanz kommt hinein, wenn alle befragten Menschen am Wegesrand des Jens Spahn immer wieder unisono betonen, wie sehr Spahn Bundeskanzler werden will. Stilistisch etwas ermüdend sind die vielen wörtlichen Zitate der Gesprächspartner, was den Eindruck einer Emsigkeit vermittelt, wo etwas mehr Souveränität möglich wäre.

 Das Cover der Jens-Spahn-Biografie, geschrieben von Michael Bröcker.

Das Cover der Jens-Spahn-Biografie, geschrieben von Michael Bröcker.

Foto: Herder

Daran schließt sich die Kritik an, gewissermaßen als Abzug in der B-Note, dass Bröcker oft in Stanzen verfällt, die zu Stilblüten werden. Da ist der alte Hase, der mit allen Wassern gewaschen ist, da treibt ein Fluss skurrile Blüten, da werden Hüte in Ringe geworfen. Auch der Satz „Das Thema Schwulsein ist deswegen aber nicht vom Tisch“, trotzt der deutschen Sprache nicht ihre letzten stilistischen Möglichkeiten ab.

Das Buch ist nicht nur eine Beschreibung des politischen Lebens von Jens Spahn. Es ist ein Lehrstück, wie sich Politiker inszenieren, ihre Rolle dort suchen, wo eine Leerstelle ist. Hochinteressant etwa, wie sich aus einem etwaigen Spahn-Mitstreiter Daniel Günther der Gegenspieler Daniel Günther wurde. Und es ist auch ein starkes Buch über Netzwerke in der Politik. Wem die CDU nach anderthalb Jahrzehnten Angela Merkel innerlich abgestorben vorkommt, der kann in Bröckers Buch lernen, dass es einen sehr intakten und saft- und kraftvollen Kern in der CDU gibt, der sich für die Zeit nach Merkel bereithält.

Zu Recht schält Michael Bröcker heraus, dass sich die Frage der Nachfolge zwischen der neuen Generalsekretärin Annegret-Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn entscheiden wird. Die eine, innerparteilich beliebter und protegiert von Merkel, der andere weniger beliebt, profiliert als Merkel-Widersacher und möglicherweise willensstärker. Für den Ausgang ist entscheidend, ob es Spahn gelingt, seine einzige erkennbare Schwäche zu heben. Einer seiner Konkurrenten auf dem Weg nach oben hat das in einen Satz gefasst, der genau da wehtut: „Es ist nett, wichtig zu sein, aber es ist auch wichtig, nett zu sein.“ Anders gesagt: Dass Spahn will, darin gibt es keinen Zweifel. Nur: Wer zu sehr will, der wird nicht gewollt. So gesehen hat Jens Spahn seinen härtesten Gegner in sich selbst. Wenn Spahn diesen Spahn bezwingt, diesen Ehrgeizling, den man nicht so recht mag, dann könnte es klappen. Auch für eine aktualisierte Ausgabe dieses lesenswerten Buches, das dann zum Bestseller werden kann.

Christoph Schwennicke ist Chefredakteur des Magazins „Cicero“.

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